Freitag, 17. Juni 2016

Parabel ohne Moral

Ein Jüngling machte sich auf um Weisheit zu erlangen. Er bereiste ferne Länder, bestieg Berge und durchwanderte finstere Täler. Hunger und jede Art Entbehrungen konnten seinen Mut nicht brechen, kein rauschendes Fest und keine Naturschönheit vom Ziel ihn ablenken. Nach vielen, vielen Jahren voller Freud und Leid langte er schließlich bei dem Weisesten aller Weisen an, dessen karge Hütte am Ende der Welt stand, ganz knapp am Abgrund. Der junge Reisende betrat zaghaft und ehrfürchtig die heilige Kammer, wo der uralte Mann in tiefer Versunkenheit reglos auf dem Boden kauerte. Wenn nicht durch die offene Tür das Abendlicht in die Kammer gedrungen wäre, er hätte ihn in der Dunkelheit nicht erkannt, denn es gab keine Fenster.
"Oh ehrwürdiger Meister" , hob der Jüngling an, "Lehre mich Weisheit!". Der Alte öffnete die Augen nicht als er sprach: "Weisheit suchst du? Weißt du denn, was das ist, mutwilliger Knabe?" - "Nein, Meister. Eben darum bin ich ja zu dir gekommen." - "Suchtest du mich, oder die Weisheit?" - "Dich suchte ich Meister, damit du mir die Weisheit verkündest!" - "Wie kann ich dir verkünden, was du gar nicht gesucht hast?" - "Aber Meister, wie könnte ich suchen was ich nicht kenne?" - "Du sprichst recht, Junge. Man kann die Weisheit nicht suchen, wenn man sie nicht schon hat. Was hast du also tatsächlich gesucht?"
Darauf wurde der Knabe still. Beschämt blickte er zu Boden. Nach einer Weile erinnerte sich, dass noch immer die Tür offen stand. Er ging hin und schloss sie, sodass es völlige Finsternis ward und setzte sich immer noch schweigend vor den blinden Greis. Eine lange Zeit saßen sie beide. Vielleicht Stunden, vielleicht Tage.
Endlich sagte der Jüngling: "Ich sehe, Meister, dass man dich nicht täuschen kann. Du musst es mir aber nachsehen, denn ich täuschte mich selbst. Nur weil mein Leben keine glückliche Richtung nahm, ging ich zu dir. Die weite Welt mit ihren Schrecken und Verlockungen, sie ist nicht mein Zuhause. Und deine tote Hütte ist ein Ort, an dem ich nicht einmal begraben sein will. Der Grund weshalb ich dich aufsuchte ist, dass ich wissen will, wie man glücklich wird!"
Nun lachte der alte - ein keuchendes, hustendes Lachen in dem keine Freude war. "Kind, was hast du dich böse verlaufen. Was du gesucht hast, hattest du nie. Und doch hast du es jetzt, weil du danach suchtest verloren. Mit Recht nennst du mich den Weisesten der Weisen, denn ich bin es. Und was ich an Weisheit allen anderen voraus habe ist mein immerwährendes, unendliches Unglück, das mih nicht sterben lässt, denn ich bin älter als du dir vorstellen kannst. Wenn du Glück sehen willst, musst du zum Toren gehen. Wenn du aber selbst glücklich sein willst, musst du zum Toren werden. Niemand aber, der einmal bei mir gewesen ist, kann jemals noch ein Tor sein. Was glaubtest du denn, warum ich am Ende der Welt mein Haus gebaut habe? Junger Narr! Wärest du nur närrischer gewesen!"

Montag, 13. Juni 2016

Warum ich Motorradfahrer hasse

Jemanden oder etwas zu hassen, das schickt sich nicht im Zeitalter umfassender Toleranz und Korrektheit. Und wenn der Hass dann noch friedliche Rentner trifft, die sich eben noch mal ein bisschen jung fühlen wollen, dann ist das schon längst vollendete Menschenfeindlichkeit. Aber seien wir doch einmal ehrlich. Jeder hasst. Und wer nicht hasst, der liebt wahrscheinlich auch nicht. Denn schon das Gute zu lieben impliziert den Hass auf das schlechte. Wer aber das Gute liebt und für das Schlechte nur Nachsicht und vielleicht sogar Verständnis aufbringt, der ist in meinen Augen nicht besonders tugendhaft, sondern leidenschaftslos. Und das ist keine Tugend. Es ist ja nun auch nicht so, dass man nur aus Boshaftigkeit hassen könne. Hass ist die natürliche Reaktion auf eine subjektiv empfundene tiefgehende Verletzung der eigenen Persönlichkeit. Was sollte also falsch daran sein, sich mit Hass gegen einen Akt zur Wehr zu setzen, der einen an der empfindlichsten Stelle trifft?
Und wenn ihr, liebe nichtvorhandene Leser euch nun fragt, was all das mit den fetten Rentnern auf zwei Rädern zu tun habt, dann will ich es euch gerne sagen:

Was ich am Motorradfahrer hasse ist nicht seine Person. Die kenne ich ja gar nicht. Ich nehme ihn, wenn er an meinem Haus vorbei rast noch nicht einmal als Individuum wahr, sondern gleichsam als störendes Insekt, nur eben viel größer und lauter. Nein, wie allem anderen in der Welt messe ich dem Motorrad eine symbolische Bedeutung bei, die weit über seinen eigentlichen Zweck, die möglichst geräuschvolle Fortbewegung hinaus geht. In diesem mir täglich tausendfach begegnenden Bild des dicken grauhaarigen Mannes in Schwarz auf seiner Höllenmaschine ist für mein Empfinden symbolisch alles zusammengefasst, was in dieser Welt hassenswert ist: Aggressivität, Rücksichtslosigkeit, Triebhaftigkeit, männliches Potenzgehabe, Brutalität, Gesetzlosigkeit, Egomanie, Dummheit, Rohheit, Hässlichkeit und vor allen Dingen die unumstößliche Überzeugtheit von der eigenen Allmacht. Diese Leute halten sich für männlich. Und in gewissem Sinne sind sie es sogar, aber in keinem guten. Denn den spezifisch männlichen Tugenden stehen als entartete Zerrbilder ebenso spezifisch männliche Übel gegenüber. Der Mann als solcher ist zunächst einmal weder besser noch schlechter als die Frau. Aber wenn ein Mann schlecht oder gut ist, dann wird er es auf eine ganz andere Weise sein, wie etwa eine Frau schlecht oder gut ist. Eine laute Frau kreischt, ein lauter Mann brüllt. Eine Frau mordet mit Gift, ein Mann mit blossen Händen. Eine arge Frau erlangt Macht durch Hinterlist und Manipulation, ein ebensolcher Mann aber durch rohe Gewalt. Um wieder in Bildern zu reden gleicht eine bösartige Frau einer giftigen Pflanze, ein bösartiger Mann aber einem wilden Tier. Während nun aber die weibliche Giftpflanze nur demjenigen schadet, der sich mit ihr befaßt, reißt das rasende männliche Tier alles in Stücke, was es finden kann. Der Typus des Mörders ist männlich. Und das sind diese Leute: Potentielle Mörder die nur deshalb ihre Gewalttätigkeit nicht ausleben, weil die Gesellschaft sie darin behindert. Also begnügen sie sich vorerst damit das höchstmögliche Maß an Zerstörung und Gewalt auszuüben, welches ihnen im Rahmen der Gesetze möglich ist: nämlich der Erzeugung von unwahrscheinlichem Lärm. Was aber die auf äußerste gesteigerte Aggressivität dieser Leute besonders widerwärtig macht, ist ihre Gepaartheit mit ungezügelter bestialischer Sexualität. Jede Form von Sanftheit ist solchen Menschen fremd. Für sie ist Potenz mit Macht identisch und umgekehrt. Beide aber verschmelzen in ihren unterdimensionierten Köpfen zu einem monströsen Ego. Dieses Ego hat den Vorsitz in einer unheiligen Dreifaltigkeit der Selbstvergötterung. Das ist die Bedeutung des Motorrades, dessen Auspuff ein Phallussymbol ist, welches dem Biker aber gleichzeitig den Mund ersetzt, denn er lässt sein magisch aufgeladenes Geschlechtsteil für sich reden - nein brüllen! Und das brüllt es der Welt entgegen: "Ich bin stärker als du!! Ich bin potenter als du!! Ich bin Gott!!"
Und so ist das Bild vollkommen. Dass dieser Menschenschlag sich auf dem Sattel erst so ganz in seinem Element fühlt, entlarvt die bösartige Omnipotenzphantasie als seinen wesentlichsten Charakterzug.
Früher hatte ich für Feministinnen nur Verachtung übrig. Inzwischen unterscheide ich zwischen den Feministinnen, die Männer hassen und denen die welche sein wollen. Während ich letztere immer noch verachte, habe ich für erstere inzwischen Verständnis, wenn ich davon Ausgehe, dass sich ihr Männerhass auf Erfahrungen mit den oben beschriebenen Exemplaren gründet. Alle netten Feministinnen auf welches nichts von beidem zutrifft dürfen sich ausgenommen fühlen.

Nichts davon lässt sich empirisch beweisen. Wahrscheinlich hält das meiste davon auch einer psychoanalytischen Deutung des Phänomens nicht stand. Aber ich wollte auch nicht Auskunft darüber geben wie es sich damit wirklich verhält, sondern einzig darüber, was ich persönlich damit assoziiere. Da der Hass ohnehin eine gänzlich subjektive Erscheinung ist, habe ich den meinen auf Motorradfahrer hierdurch hinreichend begründet.

Und ob dieser oder jener Motorradfahrer nicht doch ein netter Kerl sein könnte, das weiß ich nicht. Mir ging es nur um die Empfindungen welche Motorräder in mir auslösen, sonst nichts. Und deshalb interessiert es auch nicht, ob ich recht habe oder nicht, denn in der Welt des Subjektiven gibt es kein Richtig und Falsch. Diese Welt aber, sie existiert gleichberechtigt neben der Objektiven. Wer nur im Objektiven lebt, der ist tot (wortwörtlich!).