Dienstag, 29. Dezember 2015

Der Ungläubige

Staunend stand ich vor der Kathedrale, konnte mich an ihrer Schönheit nicht satt sehen. Ich sah ihre mächtigen Pfeiler, ihr unerschütterliches Fundament. Sie war auf Fels gebaut. Ihre Mauern glichen denen einer Festung, doch waren ihre Fenster bunt und dünn, um das Licht besser einzulassen. Märtyrer umrahmten das wuchtige Portal, Märtyrer und Apostel. Ihre strengen Mienen verrieten keine Emotionen, ihr Blick ging in die Ferne. Dies waren keine Menschen mehr, sondern Halbgötter. Über allen thronte die Jungfrau Maria, die schönste aller Frauen, durch ihre unendliche Demut erhaben. Auf ihrem Schoß das Jesuskind, die Welt in der Linken, die Rechte in strenger Segensgebärde erhoben. 
Wenn schon die Fassade solche Pracht besitzt, mich so ehrfürchtig macht, was muss dann erst im Inneren warten, dachte ich. Da sah ich die Stufen, die zum offenen Portal führten. Es waren sehr viele und meine Beine waren verkrüppelt. Verzweifelt blickte ich mich um auf dem Platz, denn es waren viele Menschen da. Kaum einer schien die Kathedrale auch nur zu bemerken. Manche spuckten sogar aus, wenn sie daran vorbei liefen. Andere hatten sich auf den Stufen niedergelassen und aßen und lärmten dort. Ganz selten löste sich einer aus der Menge und bestieg mühelos die Stufen. Jeden der kam fragte ich, wie ich hinein gelangen sollte. "Na hier über die Treppe, so wie ich" bekam ich stets zur Antwort, "wirf einfach deine Krücken weg, denn die sind auf dem Weg nach oben nicht erlaubt. Drinnen wirst du sie nicht mehr benötigen". 
Da drehte ich mich um und ging traurig weg. Noch manches mal führten mich meine Streifzüge vor die Kathedrale.

Donnerstag, 24. Dezember 2015

... und Friede auf Erden

Weihnachten - das letzte große Fest des ehemaligen Abendlandes. Für viele noch heute der unbestrittene Höhepunkt des Jahres. Für manchen Einsamen der schwärzeste Tag des Jahres. In einer Zeit, wo sonst kein noch so uralter Brauch vor dem allgemeinen kulturellen Verfall verschont bleibt, wo noch die ehrwürdigsten Traditionen für nichts geachtet und wegrationalisiert werden, da hält sich dieser eine unter allen Bräuchen am hartnäckigsten. Wohnt etwa dem kitschigen Winter- und Geschenkefest, das der widerwärtige Kapitalismus daraus gemacht hat eine solche Anziehungskraft inne? Oder zehrt nicht selbst die lächerliche Figur des Weihnachtsmannes noch von der Faszination des Christkindes, das er ersetzt hat? Ich glaube, die ungebrochene Popularität eines wenn auch unendlich verfremdeten Weihnachtsfestes erklärt sich daraus, dass es eine Ursehnsucht in den Menschen anspricht. Und dies ist die Sehnsucht nach einer heilen Welt. Doch was dies über den Menschen aussagt hängt nun ganz davon ab, was man unter einer heilen Welt versteht. Wenn ich auch sonst an kaum noch etwas glaube, am allerwenigsten an das Gute im Menschen, dann weigere ich mich doch, ihn an der populären Vorstellung einer heilen Welt zu messen, die nämlich bei genauerem Hinsehen äußerst kümmerlich und geistlos ist. Heile Welt! Woran liegt es nur, dass man dieses Wort eigentlich gar nicht ohne ironischen, ja verächtlichen Unterton gebrauchen kann. Genau den möchte ich hier nämlich vermeiden und es ausnahmsweise einmal ganz ernsthaft gebrauchen. Denn wenn man einmal ernst macht mit dem Wunsch nach einer heilen Welt, kommt vielleicht hinter all der sentimentalen Naivität und den phantasielosen politischen Utopien etwas sehr edles und würdiges zum Vorschein: Der Wunsch nach einer heiligen Welt. Hier gilt es nun erst recht, begriffliche Verwirrungen zu vermeiden, denn wenn schon die heile Welt sehr missverständlich ist, dann umso mehr die heilige. Denn vom Heiligen hat man ja heute im allgemeinen gar keine Vorstellung mehr. Der Begriff schreckt sogar eher ab. Heilig, das klingt nach großer Strenge, Übermenschlichkeit, weltferner Erhabenheit, insgesamt also vor allen Dingen nach Weltfremdheit. Doch gerade das macht das Stichwort von der heiligen Welt so interessant, seine scheinbare Widersprüchlichkeit. Nicht nur kirchenferne Menschen können schwer einen Vereinbarkeit zwischen Heiligkeit und der Welt ausmachen. So verbannen sie das Heilige ins Reich der Phantasie und positionieren sich auf der Seite der Welt. So manchem religiösen Eiferer ergeht es gar nicht anders, nur dass er eben auf der anderen Seite steht und der Welt den Krieg erklärt, anstatt dem Heiligen.
Doch dann meldet sich aus den tiefsten Tiefen des Unterbewussten nun dieses merkwürdige Verlangen nach einer heilen, oder heiligen Welt. Wie kann etwas so paradoxes überhaupt eine Anziehungskraft entfalten? Vielleicht ergibt sich der Widerspruch nur daraus, dass man sowohl von der Welt, als auch vom Heiligen eine völlig falsche Vorstellung hat. Wenn die Welt, so wie wir sie vorfinden schon die ganze Wahrheit wäre, warum sollten wir uns dann noch weiter daran stören, dass sie nicht perfekt ist? Woher nehmen wir überhaupt die Vorstellung von einer perfekten Welt, wenn es so etwas erstens nicht gibt und somit folglich auch niemand jemals die Erfahrung einer solchen Welt gemacht haben kann? Und wenn das Heilige in unversöhnlicher Feindschaft zur Welt steht, warum gibt es die Welt dann überhaupt? Kann etwa Gott etwas in sich schlechtes hervorbringen? Heile Welt - Heilige Welt... Ein kosmischer Friede. Friede nicht mehr nur als Abwesenheit von Krieg, Gewalt und Konflikten, sondern als Friede zwischen der Welt und Gott! Was für eine süße Vorstellung! Wer Gott hasst und nur die Welt oder die Menschen oder sonst etwas liebt, wird immer darunter zu leiden haben, dass genau die Abwesenheit dieses Gottes das ist, was diese Welt verdirbt. Selbst wenn es gelänge die humanistische Utopie von der falschen heilen Welt zu verwirklichen: Eine Weltregierung, Frieden, Wohlstand, Demokratie, Kranken- und Sozialversicherung und Menschenrechte für alle. Die Welt wäre nicht wirklich ein besserer Ort. Denn all diese gut gemeinten Bemühungen um ein besseres Zusammenleben sind doch nur ein Herumdoktern an Symptomen einer unheilbaren Krankheit. Die Menschen werden dadurch nicht wirklich besser, dass man ihnen beibringt, sich auf diese und jene äußerlich korrekte Art zu verhalten. In den politischen Visionen von einer besseren Welt kommt die Seele nicht vor. Das macht sie allesamt unbrauchbar. Die Wurzel allen Übels, das Böse, das in den Seelen nistet, ist unausrottbar. Alles schlechte was passiert hat ein und dieselbe Ursache: die Feindschaft zwischen Welt und Gott. Doch das Spiel lässt sich auch anders herum treiben. Den religiösen Fanatiker, ein Menschentypus, der zumindest in unseren Breiten selten geworden ist, widert die Vorstellung einer heilen Welt an, weil er die Welt hasst. Gutes kann es nach seiner Auffassung überhaupt nur im immateriellen Reich des Geistes geben. Der Weg zu Gott gleicht für ihn einem Kampf gegen die Welt und die eigene irdische Natur. Solchen Menschen erscheint dann auch dasjenige als Sünde, was die Welt an Schönem zu bieten hat, denn: nur an geistigen Gütern darf der Tugendhafte sich erfreuen.
Ich glaube dass beide, der atheistische Humanist und der religiöse Fanatiker auf ihre Weise entsetzlich leiden müssen, denn ihre Weltanschauungen sind wider die Natur. Sie ignorieren den Umstand, dass der Mensch als Brücke zwischen Welt und Gott notwendig auf beides angewiesen ist zu seinem Glück. Alle anderen unter den unglücklichen Menschen (das sind die meisten) liegen irgendwo zwischen diesen beiden Extremen. Allen gemein ist das Missverhältnis, in dem in ihrem Leben weltliche und geistliche Güter zueinander stehen. Sie alle sind damit Opfer der Feindschaft zwischen Welt und Gott. 
Der größte Traum der je geträumt worden ist, ist nun aber der von der heiligen Welt. Eine Welt im Frieden mit Gott. Eine Welt die gut ist, weil sie so ist, wie Gott sie gewollt hat. Jede alltägliche Handlung gesättigt mit Sinn, jedes Wort mit Bedeutung - und sei es nur ein Gruß. Die Seele wohnt gerne in ihrem Körper, trachtet nicht länger danach ihn zu verlassen. Ebenso ist der Körper ein williges Gefäß der Seele, das nicht länger danach trachtet, sie zu unterjochen. Das wäre das Ende aller Kämpfe. Denn noch bevor der erste Schuss gefallen ist und auch da wo gar keine Schüsse fallen herrscht unentwegt Krieg. Krieg in jedem Einzelnen, zwischen seiner irdischen und seiner geistigen Natur. Zwischen Körper und Seele und Seele und Geist und Geist und Körper. Wir sind innerlich zerrissene Geschöpfe, uneins mit uns selbst. Alles was in der Welt dann so schief läuft ist doch nur äußerliche Folge der Schlachten, die im Herzen jedes Einzelnen toben.
Das ist mein Weihnachtswunsch: Der Weltfriede. Nicht ein blöder politischer Friede, der auch dadurch herzustellen wäre, dass man sämtliche Geschöpfe durch kastrierte Stallhasen ersetzte. Sondern Friede zwischen den Menschen und Gott.

Dienstag, 15. Dezember 2015

Weltverachtung

"Jeder Mensch hat etwas, das ihn antreibt" - ist das nur ein Werbeslogan der Raiffeisenbank, oder stimmt das wirklich?
Wohl mag es etwas geben, das die meisten antreibt, sonst würden sie ja wie ich morgens einfach im Bett liegen bleiben. Doch haben sie es auch? Oder ist es nicht vielmehr so, dass sie angetrieben werden? Äußere Zwänge denen wir unterliegen gibt es ja genug. Allen voran steht die Pflicht. Ich arbeite, ich lerne, ich kümmere mich um dieses und jenes, einfach weil ich muss. Denn darin dürften sich wohl alle einig sein, dass, wer sich um nichts kümmert ein schlechter Mensch ist. Doch genügt das schon? Kann man aus dem bloßen Müssen jeden Tag die Kraft beziehen, die warme Behaglichkeit des Bettes gegen Stress, Hektik, Langeweile und Verdruß einzutauschen? Man müsste sich wohl zumindest etwas davon versprechen. Aber was, bitte schön? Ich arbeite, damit ich Geld verdiene. Von dem Geld leiste ich mir eine Wohnung und Essen. Denn ohne einen festen Wohnsitz keine Arbeit. Dass man sich in einer Wohnung auch aufhalten und dort seine freie Zeit verbringen kann, zählt nicht, denn um sie sich leisten zu können muss man ja arbeiten, sodass einem gerade noch genügend freie Zeit übrig bleibt, um sich von der Arbeit zu erholen. Das wenige was an Freizeit also übrig bleibt, dient im Grunde genommen allein dem Zwecke der Aufrechterhaltung der Arbeitskraft. Wenn ich beispielsweise studiere, sieht es noch ärger aus. Dann habe ich eigentlich gar keine freie Zeit, auch zuhause nicht, denn jede Minute die ich nicht am Campus verbringe ist zum Lernen da - und zum Essen und Schlafen, was aber auch nur wiederum dem Zwecke dient, physisch zum Lernen in der Lage zu bleiben. Manche arbeiten auch, damit sie Urlaub machen können. Auch dies ist im Grunde genommen kaum mehr als ein dürftiges Trostpflaster, das in keinem Verhältnis zu dem Ärger steht, dem man in der restlichen Zeit nur um dieses Trostpflasters willen ausgesetzt ist. Was sind schon die 2-3 Wochen im Jahr? Lohnt es sich dafür etwa zu leben? Letzten Endes ist auch der Urlaub dem höchsten Zweck, der Arbeit nämlich, untergeordnet. Man macht Urlaub, damit man nicht in der Psychiatrie landet. Wobei es ja tatsächlich Leute geben soll, die ihren Urlaub in der Psychiatrie verbringen. D.h. sie arbeiten bis zum Nervenzusammenbruch, gehen ein paar Wochen in die Klapse, arbeiten wieder bis zum Umfallen, und so weiter. Bliebe noch das Wochenende. Doch das ist auch gefährdet und schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr. Immer mehr Menschen müssen auch am Wochenende arbeiten. Pause wird dann vielleicht zwischendurch am Mittwoch gemacht. Samstags haben sowieso nur Schüler und Studenten und vielleicht noch Beamte frei. Die Schüler sind noch fein raus, weil man heutzutage auch ohne Lernen sein Abi bekommt, aber der Student, der am Wochenende feiert und seinen Rausch ausschläft ist auch nur noch ein überholtes Klischee. Wer sein Studium so gestaltet wird nämlich nicht lange Student bleiben. Stattdessen gilt auch hier: Freizeit ist Lernzeit. Den Umstand dass Freizeit heute eigentlich nur noch der hat, der seinen Pflichten nicht nachkommt versucht man dann durch das Modewort "Zeitmanagement" zu kaschieren. Als ob die Woche auf einmal 8 Tage hätte, wenn man sich gut organisiert. Wenn also die Freizeit der Sinn des Arbeitens wäre, dann müsste man zugeben, dass es sich nicht wirklich lohnt, zu arbeiten, denn dafür springt entschieden zu wenig Freizeit raus.
Also muss es um das gehen, was man in seiner wenigen freien Zeit macht. Der Spaß muss ja beträchtlich sein, wenn er in ein- zwei Tagen das wieder herein holen will, was man in der restlichen Woche verpasst hat. Aber was soll man am Wochenende schon großes anfangen? Und kann Spaß denn sinnstiftend wirken? In den meisten Fällen läuft es ja doch darauf hinaus, dass man vor dem Fernseher abhängt. Vielleicht geht man auch mal ins Kino, oder in ein Lokal. Die sportlicheren betätigen sich körperlich. Ganz hoher Stellenwert kommt natürlich noch der Pflege von Beziehungen zu. Man verbringt Zeit mit dem Partner, von dem selbst vereiratete unter der Woche sowieso nichts haben. Aber was macht man dann mit dem Partner? Dasselbe, was man auch als Single tun würde: Ins Kino gehen, essen, spazieren... Auf Dauer auch ziemlich langweilig. Ich weiß nicht genau, was sich normale Menschen von einer Partnerschaft versprechen. Aber ist es nicht irgendwie so, dass einem dabei so eine Art gemeinsames Abenteuer vorschwebt? Ist Liebe nicht etwas ganz besonderes, außergewöhnliches, aufregendes, gefährliches, prickelndes, extrem stimulierendes? Wie viel von  diesen Vorstellungen lässt sich schon in den drögen Alltag hinein retten. Vielleicht ist der Alltag ein  größerer Feind jeder Beziehung, als es die böseste Schwiegermutter je sein könnte. Dieses ewig gleichförmige, gewöhnliche, unspektakuläre, schlechthin zermürbende der ständigen Wiederholung des immer Gleichen wäre ja an sich schon schlimm genug. Doch man wird dabei ja auch nicht jünger! Man stumpft ab, nimmt das, was einen am anderen anfangs noch fasziniert haben mag irgendwann gleichgültig hin. Und eines Tages hat man sich vielleicht nichts mehr zu sagen, weil selbst, wenn man viel miteinander geredet hat irgendwann alles gesagt ist. Selbst der Intime Teil des Ehelebens verliert mit den Jahren immer weiter seinen Reiz, ja verbietet sich sogar irgendwann von selbst, wenn man seine Würde bewahren möchte. Die Menschen unserer Zeit versuchen diesen natürlichen Vorgängen durch Polygamie Einhalt zu gebieten. Sie wechseln ständig die Partner, bilden "Patchwork Familien", probieren perverse Rollenspiele und dergleichen. Und sie merken gar nicht, wie lächerlich sie sich dabei machen. Was gibt es armseligeres, als alte Leute, die versuchen, ihre Pubertät durch Motorradfahren und den Besuch von Ü60 Parties bis ins Greisenalter hinein auszudehnen, anstatt sich einfach damit abzufinden, dass sie nun einmal alt sind und die Zeit der großen Abenteuer damit beendet.
Bei all dem, was ich bis hierhin beschrieben habe: Wo scheint dabei denn bitte der Sinn durch? Natürlich habe ich absichtlich das eigentliche ausgelassen, weil es in der vulgären Auffassung vom Leben nämlich gar nicht vorkommt. Wir "leben das Leben" heißt es. Wir planen und organisieren den Stumpfsinn und verwenden all unsere Kraft darauf. Selbst der Verfall wird ordentlich durchgeplant: Abiturienten machen sich schon Gedanken über ihre Rente. Junge Mädchen wissen genau, wie ihr Leben ablaufen soll. So und so lang studieren, dann so und so lang arbeiten, mit 30 Mr. Perfect heiraten und mit dem zusammen alt werden - oder auch nicht, aber dann läuft einem bestimmt noch ein zweiter und ein dritter Mr. Perfect über den Weg. Und wenn man dann in Rente gegangen ist, wird ständig verreist und ganz bestimmt nichts unjugendliches gemacht, denn man ist ja so alt wie man sich fühlt. Sport und gesunde Ernährung sind der Gottesdienst dieses Kultes des Gewöhnlichen. Perfektionismus in allen Lebensbereichen: Das größte Auto, das schönste Haus, der tollste Job, die coolsten Freunde und die harmonischste Ehe. Doch wenn man einmal fragt, wozu das ganze denn            
gut sein soll? Verlegenheit. Meistens läuft es darauf hinaus, dass der Sinn eben in den Lebensvollzügen selbst liegt. Aber wenn das Leben schon in sich sinnvoll ist, warum muss es dann perfekt sein? Hat dann nicht auch ein armseliges Lotterleben seinen Sinn? Und die für mich wichtigste Frage: Lohnt sich der Aufwand denn? Rechnet man sich denn vorher einmal aus, wie viel  Kraft es kostet, all das zu erreichen, wovon jeder träumt? Reißen wir uns nicht alle ein Bein aus um alles mögliche zu erreichen, was sich im Nachhinein doch als sinn- und wertlos heraus stellt?
Was ich bei dem gesamten Kult um das Leben vermisse ist die Transzendenz. Wo ist denn in meinem ach so wichtigen Leben, das, was über sich hinaus weist?
Doch man darf den Menschen auch nicht Unrecht tun. Für viele sind Familie und Freunde das Wichtigste im Leben. Da will man zunächst nicht widersprechen. Denn Familie und Freunde haben etwas mit Liebe zu tun. Und Liebe mag wohl der Sinn des Lebens sein. Doch wo kommt bitte die Liebe im Alltag vor? Ist der Alltag nicht der schlimmste Feind der Liebe, der sie dadurch entweiht, dass er sie alltäglich macht?
Egal wie ich es auch anfange, am Ende scheinen mir Sinn und Alltag unvereinbar. Denn das was wirklich wertvoll ist: Liebe, Wahrheit, Schönheit hat im Alltag keinen Platz. Dort regiert nämlich der bloße Zweck, der Nutzen, letztlich der Zwang. Wenn aber das Leben mehr oder weniger hauptsächlich aus alltäglichen Zwängen besteht, die die Wahrheit, die Liebe und die Schönheit daraus  verbannen, dann hat das Leben im großen und ganzen keinen eigentlichen Sinn. Zwar kommt Sinn darin vor, aber eigentlich als etwas fremdes, dem Leben nicht direkt zugehöriges. Die Erfahrung von Sinn und Erfüllung kann also nur inform einer Entrückung vorkommen, die einen aus dem alltäglichen Zusammenhang hinaus reißt. Das ist die Ekstase, der heilige Rausch, Trunkenheit nicht des Leibes, sondern des Geistes! Hassen will ich also diese Welt aus Herzensgrunde und nichts anderes erstreben, als das was außer ihr ist!

Dienstag, 8. Dezember 2015

Von Freiheit und Hoffnung

Wenn es um die höchsten Güter geht, ist Freiheit immer einer der ganz heißen Kandidaten. Wer möche schon nicht frei sein? Auch und gerade im christlichen Glauben ist viel von der Freiheit die Rede. Christus predigt uns die Freiheit der Kinder Gottes, er ist gekommen, um den Gefangenen die Freiheit zu schenken. Sein Titel ist Erlöser (er löst von etwas). Nicht zuletzt macht die Theologie, genauer die christliche Ethik den freien Willen zur Bedingung unserer Erlösung, denn wenn diese nur dem Glaubenden zuteil werden kann, der Glaube aber in einer Entscheidung für Gott besteht, setzt sie notwendig eine Freiheit des menschlichen Willens voraus. Gerne wird diese grundlegende Willensfreiheit auch als Erklärung für Sünde und Leid heran gezogen, die als negative Konsequenzen derselben gedeutet werden, die Gott inkauf nehmen muss, wenn er von uns geliebt zu werden wünscht. Denn Liebe kann nur in Freiheit geschehen. Auch wird der freie Wille gerne als ein Hauptmerkmal angeführt, welches den Menschen im Unterschied zu den Tieren überhaupt erst ausmache. So gerne ich mich dieser christlichen Anthropologie auch anschliessen würde, die doch so edel erscheint, so schwer fällt es mir, ihre Aussagen mit meinen Erfahrungen und Beobachtungen in Einklang zu bringen.
Denn was bedeutet die Freiheit denn, die man der ganzen Menschheit hier so grosszügig unterstellt? Unbedingte Freiheit (alles tun zu können, was man will) kann es ja schon einmal nicht sein. Denn selbst den freiesten der Freien, den Reichen, sind zumindest im physikalischen Bereich doch sehr handfeste Grenzen gesetzt. Sie sind im wesentlichen nicht freier als alle anderen Menschen, nur verschiebt der Reichtum die Grenzen ihres Vermögens in einer Weise, dass sie sich recht komfortabel darin bewegen können. Genau wie wir Normalbürger sind sie eingepfercht, nur dass der Zaun so weit weg steht, dass für sie eine Illusion von Freiheit entsteht. Wir reden also von einer bedingten Freiheit. Wenn Freiheit aber bedingt ist, also relativ, besteht dann nicht die Möglichkeit, dass sie in der Praxis so weit reduziert werden kann, dass sie sich effektiv nicht mehr auswirkt, obgleich sie streng genommen noch vorhanden sein kann? 
Im christlichen Kontext, wie auch in der klassischen Ethik wird der Begriff Freiheit vor allem in Bezug auf das moralische Leben gebraucht. Frei ist demnach, wer sich gegen das von ihm als falsch erkannte und für das richtige, das Gute entscheiden kann. Das kann freilich auch ein Armer. Der kann sich im Zweifelsfall aufgrund seiner Rechtschaffenheit auch dagegen entscheiden, Essen zu klauen und diesem in sich schlechten Akt den Hungertod des Gerechten vorziehen. Worauf ich mit diesem reichlich geschmacklosen Beispiel hinaus wollte ist, dass im Leben Situationen eintreten können, die einen doch zumindest zum Unrecht nötigen, sodass es schließlich nicht mehr eine Frage des guten Willens, sondern der bloßen Selbstbeherrschung wird, ob man das Gute tut oder nicht. Aber gehen wir noch einen Schritt weiter. Wir stellen uns folgendes Szenario vor: Ein rechtmäßig Verlobter und an sich nicht völlig unanständiger Mann zeugt im Suff mit einer Zufallsbekanntschaft einen Bastard. Kann ja mal vorkommen. Nehmen wir einmal an, seine Verlobte wäre bereit, ihm zu vergeben und die Zufallsbekanntschaft macht eine Abtreibung von seiner Entscheidung abhängig, sie wäre überdies bereit, den Mann zu heiraten. Was soll er jetzt tun, um sich nicht noch weiter zu versündigen? Eine Abtreibung scheidet von vornherein aus, weil sie von allen denkbaren Alternativen das schlimmste Übel in sich birge. Verbleiben zwei Wege. Nämlich muss er nun entweder die Fremde ehelichen, um dem Sohn die Schande eines Dasein als Bastard zu ersparen und außerdem seiner Verantwortung als Vater gerecht zu werden, wobei er sich freilich an seiner Verlobten versündigen und außerdem das Sakrament der Ehe profanieren würde, da es keine Heirat aus Liebe wäre. Steht er aber zu seiner Verlobten, ruiniert er das Leben seines Sohnes da dieser entweder ohne Vater verbliebe, oder, wenn er ihn zu sich nähme nie seine leibliche Mutter hätte. Wir haben es also mit einem Dilemma zu tun, welche ja durchaus nicht nur in dem diffusen Gedankenlabyrinth eines irren abgebrochenen Theologen vorkommen, sondern eben auch in der Wirklichkeit. Die blosse Möglichkeit oder auch nur das ausnahmsweise Vorkommen eines moralischen Dilemmas verändert aber alles. Kompromisslösungen wie etwa eine Güterabwägung zwischen den Interessen der Beteiligten und der Grösse des jeweils entstehenden Schadens bringen hier auch nicht weiter. Solche Erwägungen sind nur Ausdruck des ohnmächtigen guten Willens. Ohnmächtig eben deshalb, weil sie sich vielleicht auf eine gute Absicht gründen mögen, ohne aber einen eindeutig guten Ausgang der Sache herbeiführen zu können. Nun hört man allenthalben, es käme in Fragen der Moral auch nur auf den guten Willen an. Gut wäre demnach nicht nur wer gutes tut, sondern auch wer das Gute bloß beabsichtigt, ohne es auch erreichen zu können. Doch was heißt das eigentlich: Etwas beabsichtigen? Liegt hierin etwa die ominöse Freiheit des Willens? Ist der Wille noch des Unfähigsten wirklich immer frei darin, sich für das Gute zu entscheiden, es also zu beabsichtigen? Dass Situationen auftreten können, in denen es unmöglich ist, das schlechthin richtige zu tun, haben wir bereits gezeigt. Was aber, wenn so eine Situation nicht nur einen Einzelfall, sondern das ganze Leben eines Menschen bedingen sollte. Dies könnte vielleicht dann der Fall sein, wenn die Ursachen seines Dilemmas nicht in veränderlichen äußeren Umständen, sondern in ihm selbst lägen. Die Ohnmächtigkeit eines Willens kann nämlich neben höherer Gewalt auch aus der Schwäche desselben resultieren. Wohl möchte ich vom Alkohol loskommen. Ich habe mich also gegen die Sucht entschieden. Doch was bringts, wenn die Sucht stärker ist als der Wille? Es ist eine durchaus bedenkenswerte Frage, ob man irgend einen Süchtigen dafür verantwortlich machen kann, wenn er süchtig bleibt. Falls ja, hieße das nichts anderes als ihn für die Schwäche seines Willens zu verurteilen. Denn nichts anderes ist Sucht: Schwäche des Willens im Hinblick auf eine bestimmtes Stimulans. Die allermeisten Süchtigen wären gerne clean, haben sich also in ihrem inneren gegen die Sucht entschieden. Macht sie das schon gerecht im Hinblick auf ihre Sucht? Ich glaube kaum. Sie sind in einem moralischen Übel gefangen und erleben sich selbst als unfähig, diesem Übel wirkungsvoll zu entsagen. Doch es wird noch schlimmer. Genau denjenigen Umstand, der sie in dem unmoralischen Zustand gefangen hält, würden manche ihnen zum Vorwurf machen - und zwar zurecht. Nämlich dass sie zwar clean werden wollen, aber eben nicht genug, also nicht richtig wollen. Wenn einer es sich in den Kopf gesetzt hat (oder es vielleicht von anderen in den Kopf gesetzt bekommen hat), ohne technische Hilfsmittel zu levitieren, mittels reiner Willens- oder Gedankenkraft (soll es ja übrigens wirklich geben), dabei aber gleichzeitig nicht abergläubisch ist, dies also nicht tut, weil er Geschichten  von irgendwelchen Fakiren oder Telepathen gehört hat, die er nachahmen wollte, sondern vielmehr in der Überzeugung, etwas zu versuchen, was noch kein Mensch vor ihm geschafft hat, wie wird es ihm wohl ergehen. Abhängig von seiner Geduld wird er früher oder später ermüden und sehr frustriert sein, bis er eines Tages zu der Überzeugung kommt, dass er es nicht kann. Da er aber nicht aus Aberglauben dieses Unterfangen auf sich nahm, sondern aus einer ungebrochenen Überzeugung heraus, dass der Wille alles vermag, wird er daraus nicht schliessen, dass es unmöglich ist, durch Willenskraft zu levitieren, sondern nur, dass sein Wille dafür nicht ausreicht. Die Erfahrung und die daraus resultierende Verbitterung tragen ihr Übriges dazu bei, diese Überzeugung in ihm zu verfestigen. Nach zehn oder zwanzig Jahren erfolgloser Levitationsversuche wird ihm die Insuffizienz seiner eigenen Willenskraft als so unumstößlich erwiesene Tatsache gelten, dass er sie wie einen (negativen) Glaubenssatz in seinem Herzen tragen wird. Der gescheiterte Fakir hat aber nun Freunde, die fest davon überzeugt sind, dass er des Schwebens fähig ist. Über all die vielen Jahre hinweg haben sie ihn angetrieben, es nur weiter zu versuchen, irgendwann müsse es klappen. Mit jedem weiteren Misserfolg sank sein Vertrauen in die Zusicherung der Freunde, er könne es doch, sodass er es schließlich nur noch aus reiner Loyalität weiter versuchte. Letztlich also aus gutem Willen. Nun mag er zwar noch den guten Willen besitzen, den Glauben seiner Freunde an ihn durch weitere Anstrengungen zufrieden zu stellen. Wie aber steht es mit seinem Guten Willen im Hinblick auf das Schweben selbst? Als er noch überzeugt gewesen war, dazu imstande zu sein, hatte er ihn wirklich. Doch jetzt, wo er durch jahrelanges auf der Stelle stehen vollständig entmutigt und desillusioniert ist, will er es im Grunde genommen gar nicht mehr. Nicht weil er es nicht für wünschenswert hielte, oder weil die Ermutigungen seiner Freunde ihn kalt ließen. Sondern einfach nur noch deshalb weil man etwas gar nicht ehrlich wollen kann, von dem man annimmt, dass man es niemals erreichen wird. Seine weiteren Schwebeversuche sind nur noch Ausdruck guten Willens, letztlich bloße Geste. Doch eben dieser demonstrative gute Wille ist im Kern nicht mehr ehrlich. Am Anfang hatte er sich entschieden, zu schweben, weil das Schweben ihm eine reale Option zu sein erschienen war. Jetzt, da er schmerzlich die unzureichende Stärke seines Willens erfahren hat, sich aber anhand der bereits geleisteten durchaus enormen Willensanstrengung ein etwaiges Bild von dem machen zu können glaubt, was ihm noch fehlt und daher die Hoffnungslosigkeit seines Unterfangens eingesehen hat, glaubt er nicht mehr wirklich an sich. Er tut nur noch so, als ob. Und eben darin liegt das Wesen des guten Willens im Unterschied zum wirklich freien: So zu tun, als ob. Man kann sich nicht für etwas entscheiden, das einem zu tun unmöglich erscheint. Die Freiheit des Willens besteht in der Minimaldefinition also darin, dass man immer so tun kann, als ob. Und das ist unehrlich. Wieder ein moralisches Dilemma. Wessen Wille nicht ausreichend ist, um Gutes zu bewirken, für den besteht noch die vornehmste Möglichkeit moralischen Handelns in der Unehrlichkeit. Das allen Menschen gemeinsame Mindestmaß an Freiheit besteht also in der Möglichkeit, gegen die eigene Überzeugung zu handeln zu versuchen, besser gesagt so zu tun, als ob man es versucht (denn um es wirklich zu versuchen müsste man ja daran glauben können, dass es möglich ist - und glauben kann schon wieder nicht jeder). Ein Verfechter des freien Willens würde mir nun entgegnen, der Glaube sei wie alles andere auch eine Frage des guten Willens, es bliebe also immer die Möglichkeit, es ohne Verstellung weiter zu versuchen. Doch was, wenn das Glauben gerade die Tätigkeit ist, an der sich der Willensschwache die Zähne ausbeißt? Dann bleibt ihm wirklich nur die Verstellung und es zeigt sich gleichzeitig, dass das Unvermögen zu Glauben die größtmögliche Unfreiheit erzeugt. 
Es sei denn, ja es sei denn, es gäbe eine dritte, bisher völlig unberücksichtigte Möglichkeit, nämlich die dass der Glaube etwas ist, das gar nicht durch Willensanstrengung erworben werden muss. Vielleicht ist der Glaube an das Übernatürliche selbst etwas übernatürliches. Am Ende ist gar die Frage, wodurch der Glaube bei einem Menschen letztlich zustande kommt gar nicht beantwortbar, weil sich ein Mysterium dahinter verbirgt? Dann, und nur dann gibt es Hoffnung für alle, auch für die Schwächsten. Wie begründet und vernünftig diese Hoffnung dann wäre, ist wieder eine andere Frage. Aber vielleicht muss Hoffnung gar nicht vernünftig sein?

Freitag, 4. Dezember 2015

Mittwoch, 2. Dezember 2015

Provokation des Tages

Die "Nazis" haben in ihrer Zeit den Geist in die Politik hinein getragen. Dass dabei (auch) ein Geist des Bösen entfesselt worden ist, liegt auf der Hand. Fakt ist, dass unsere Zeit der damaligen moralisch nicht überlegen ist. Sie ist nur harmloser, weil vollkommen geistlos.

Freitag, 27. November 2015

200 Jahre Befreiungskriege

Hier das Manuskript einer Rede, die ich heute im Rahmen eines Rethorikseminars gehalten habe. Thema sind die Befreiungskriege:

Als sich am Vormittag des 18. Junis 1815 72000 Franzosen und 115000 Deutsche und Engländer in der Nähe des Dorfes Waterloo gegenüber standen, war dies der Auftakt zum Schlussakt eines Dramas, das bis zu diesem Zeitpunkt 26 Jahre lang den Kontinent erschüttert hatte. Das alte Europa, ja vielleicht die Welt sollte danach für immer eine andere werden. Die Rede ist von der französischen Revolution und den sich anschließenden Koalitions- und Befreiungskriegen, welche schließlich den Weg bereiten sollten für die Gründung des modernen deutschen Staates. Es ist dies ein Drama von Fahnentreue und Verrat, von Tapferkeit und Feigheit, von strahlender menschlicher Größe und unsagbarer Niedertracht.

Wenn sich, wie in diesem Jahre ein epochales Ereignis zum 200. male jährt, dann bietet dies einen willkommen Anlass, Rückschau zu halten und sich sodann zu fragen, wo man selbst sich in der Geschichte eigentlich befindet. Denn die Geschichte ist nicht bloße Vergangenheit, hat vielmehr niemals aufgehört voran zu schreiten. Sie ist das große Ganze der zeitlichen Ordnung und wer sie als bloße Bücherwissenschaft abtut, der nimmt sich selbst unzulässiger Weise aus den großen Zusammenhängen heraus, in die er gestellt ist und zieht ihnen den Stillstand der bloßen Selbstbezogenheit vor. "Was hat das denn mit mir zu tun?" fragst du dich und offenbarst damit, dass du nichts verstanden hast. Denn nichts von all dem, das heute unsere Lebenswelt ausmacht und das wir nur allzu schnell als selbstverständlich hinzunehmen belieben wäre heute so, wie es ist, wenn die Geschichte nicht so verlaufen wäre, wie sie ist.

Betrachten wir also zunächst die Ausgangslage jenes großen Dramas, welches sich in der Person eines Napoleon Bonaparte verkörpert, wie der Zweite Weltkrieg in der des allseits beliebtem Männleins mit dem Schnauzer. Seit dem Ende des 30jährigen Krieges war Europa im Absolutismus erstarrt, welcher ab der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts starke Züge von Auflösung und Dekadenz anzunehmen begann. Der größte Verlierer der Religionskriege war das Heilige Römische Reich gewesen, das in der Folge endgültig zu einem völlig unregierbaren, politisch handlungsunfähigen bürokratischem Moloch verkommen sollte. Die selbstsüchtigen, ständig untereinander zerstrittenen Territorialfürsten hatten sich schließlich gegen die schwache Zentralgewalt durchgesetzt und verbündeten sich nach Belieben mit ausländischen Herrschern, welche die Schwäche des Reiches systematisch zu ihrem Vorteil ausnutzten. Leidtragender war das deutsche Volk, das nicht nur den Launen seiner Landesherren, sondern immer wieder auch feindlichen Invasionen ausgesetzt war, vor allem von Frankreich aus, denen die korrupte deutsche Aristokratie, hinreichend beschäftigt mit internem Zwist, einen ernsthaften Widerstand entgegen zu setzen weder fähig noch willens war. So wie es auch heute jeder noch tut, der sich von der Geschichte nicht betroffen fühlt, hatten die Deutschen sich selbst aus dem großen Zusammenhang heraus genommen und für sich den Weg des passiven Duldens gewählt. 

Doch das Schicksal gestattet keinen Stillstand und ließ also ab dem Jahre 1789 mit großer Macht die Franzosen, ein stolzes, aber verblendetes Volk in dieses deutsche politische Vakuum hinein stoßen. Welch ein Bild des Jammers muss das Heilige Römische Reich, nach Russland zweitgrößter Staat des Kontinents in dem folgenden Jahren des Krieges geboten haben, als es von einem zusammen gewürfelten Haufen französischer Revoluzzer überrannt und schließlich in die Knie gezwungen wurde! Wie groß war doch die Zahl der Verräter, die sich sogleich Trikoloren ansteckten und die Besatzer fröhlich willkommen hießen! Wie feige handelten doch die opportunistischen Fürsten, als sie im Handumdrehen kapitulierten und sich Napoleon, dem selbsternannten Herrscher Europas als Vasallen andienten, um nur ja ihre Pfründe zu sichern! 

Doch wofür stand dieser Napoleon nun, was war es für eine Ordnung, die er über den Leichenbergen errichtete? Es war der Prototyp der seelenlosen, sozialistischen, materialistischen Weltdiktatur. In einem Jahre währenden beispiellosen Blutrausch hatten die Franzosen es bewerkstelligt, ihre eigene ehrwürdige, jahrhundertealte Kultur vollständig zu vernichten und durch eine blasphemische Utopie zu ersetzen. Anders als die Deutschen hatten sie die Wurzeln ihrer Identität nicht einfach durch Indifferenz preisgegeben, sondern sie unter dem Fallbeil der Giullotine gekappt und unter dem tierischen Gegröle des rasenden Mobs alles, was jemals groß an Frankreich gewesen zu Grabe getragen. Sie schrien "vive la france!" und nannten sich selbst die "grande nation", doch hatte das, was sie mit france und nation bezeichneten nichts mehr gemein mit dem wahren, historisch gewachsenen Frankreich, war vielmehr ein bloßes Kunstgebilde, entstanden durch enthemmten Terror und das Betreiben einer mit mechanischer Präzision arbeitenden inhumanen Bürokratie. Ihr neuer, moderner Staat, nach dessen Modell sie mit wütendem Fanatismus ganz Europa umzuwälzen versuchten gründete sich nicht mehr auf Glauben und Tradition, sondern auf irgendwelche diffusen, letztlich frei erfundenen, universalen Werte, die von den Hirnen überzüchteter Intellektueller halluziniert und durch die Freimaurerlogen unters Volk gestreut wurden. Ein atheistisches, technokratisches Weltreich wollten sie schaffen, auf den Trümmern des alten Europa. Und das geschah nur folgerichtig, denn auf dem Höhepunkt seiner Macht ist der gottlose Republikanismus noch immer in Größenwahn und Diktatur umgeschlagen. Sie schreien Freiheit und bringen die Knechtschaft. Sie dröhnen Gleichheit und berauben uns unserer Identität. Sie geifern Brüderlichkeit und zerreißen die Bande von Familie, Volk und Religion. 

Und wer trat nun an, um diesem ganzen Irrsinn ein Ende zu machen? War es der preußische König, war es Metternich in Wien, waren es die Generäle Wellesley und Blücher, die Europa von dem Joch des Tyrannen befreiten? Das Deutsche Volk selbst war es, das, einmal zu oft von den Franzosen im Schlafe überrumpelt endlich erwachte und sich den Unterdrückern mutig entgegenwarf. Denn bevor es überhaupt erst zu einem Waterloo kommen konnte, oder zu einer Völkerschlacht bei Leipzig, da war es zum ersten male geschehen in der langen, leidvollen Geschichte unseres Volkes, dass der Deutsche selbst zu den Waffen griff, nicht im Solde irgendwelcher Fürsten, nicht im Dienste irgendeiner Republik. Nein! Einzig und allein fürs heilige Vaterland setzten die Männer aller Stände und Klassen, die sich den patriotischen Freikorps anschlossen ihr Leben aufs Spiel. Dieser erste deutsche Volksaufstand der Geschichte, der Helden wie einen Andreas Hofer, oder die legendären Lützower Jäger hervorbrachte gab erst die Initialzündung zum finalen Kampfe gegen den Welttyrannen, dem sich die Fürstenhäuser erst zögerlich, dann nach und nach anschlossen.

Die Adeligen mögen den deutschen Freiheitskampf zum Siege geführt haben, doch sie waren es auch, die ihn verrieten. Noch bevor die letzte Schlacht bei Waterloo geschlagen war, stellten sie auf dem Wiener Kongress sicher, dass der Traum der jungen deutschen Patrioten von einem geeinten deutschen Nationalstaat, wie ihn etwa die Gründer der Jenaer Urburschenschaft um Ernst Moritz Arndt formuliert hatten vorerst nicht in Erfüllung gehen würde. Es sollten noch einmal rund 60 Jahre vergehen, bis die Ideen von 1815 mit der Gründung des Deutschen Kaiserreiches Wirklichkeit werden sollten




Mittwoch, 25. November 2015

Von wertem und unwertem Leben

Woran bemisst sich der Wert eines Menschen? An seiner moralischen Grundhaltung? An seinen Talenten? An seinem Altruismus, an der selbstlosen Liebe, die er anderen schenkt? Oder an etwas ganz anderem? Besitzt vielleicht jeder Mensch, sei er gut oder böse von Geburt an einen unzerstörbaren Eigenwert, einfach dadurch dass er Mensch ist? Sind vielleicht deshalb alle Menschen gleich wertvoll? Ich sehe drei grundlegende Ansätze zur Bewertung des Individuums:
1. Der ontisch metaphysische Ansatz, der von dem ausgeht, was einer ist. Dieser Ansatz könnte eine Gleichwertigkeit der Individuen nahelegen, insofern das Menschsein, das sie alle eint gleichzeitig auch den Wert der Person determiniert. Der Wert des Einzelnen stünde demnach schon von vornherein fest. Diese Betrachtungsweise liegt vor allem den religiösen Anthropologien zugrunde, allerdings nicht ausschließlich.
2. Der ethische Ansatz, welcher zur Bewertung die Taten einer Person heran zieht. Bei dieser Betrachtungsweise könnte jemand immer nur so gut oder schlecht sein, wie seine Taten. Der neugeborene Mensch wäre demnach von seinem Wert her noch ein unbeschriebenes Blatt, ausgestattet mit dem Potential, Ruhm oder Schande zu erwerben. Von vornherein scheint der moralische Ansatz mit dem ontischen nicht vereinbar, da er auf eine radikale Ungleichwertigkeit der Individuen hinausliefe. Denn unser Sein ist es, was uns vereint, unsere Taten hingegen unterscheiden uns. Die Moral steht in den Religionen trotzdem neben dem metaphysisch - ontischen Ansatz, wobei zwischen beiden meistens ein Wechselverhältnis gesehen wird, sodass je nachdem die Taten die Qualität ausmachen, oder die Qualität die Taten. Allerdings kann dieser moralische Ansatz auch losgelöst von Religion Anwendung finden.
3. Der naturalistische Ansatz, der die Taten des Einzelnen von seinem Sein ableitet, dieses Sein jedoch anders bestimmt, als der ontische Ansatz, nämlich nicht normativ, sondern deskriptiv. Aus dem Geschöpf wird so eine bloße Entität, aus dem Menschen ein Säugetier. Auch wird Wert hier anders definiert, nämlich utilitaristisch, sodass Wert mit Nutzen gleichgesetzt wird, wobei das Wofür des Nutzen unhinterfragt bleibt. Man beschränkt sich auch hierbei auf die beobachtete Grundtendenz aller natürlichen Lebewesen, welche dahin geht, den eigenen Organismus gesund zu erhalten und die eigene Art zu erhalten, je nachdem vielleicht noch erweitert um das materielle Wohl der eigenen Sippe, oder des Staates. Die Frage nach dem Sinn kommt in diesem Modell genau so wenig vor wie Gott.  Es ist atheistisch-materialistisch.              


In unserer heutigen Zeit herrscht eine große Verwirrung hinsichtlich der Wertbestimmung des einzelnen Menschen, weil alle diese Ansätze nebeneinander existieren und  oftmals auf (nicht selten paradoxe Weise) miteinander vermischt werden. Hier sei eine Randbemerkung zum Humanismus gestattet, der zumindest in der Sphäre des ehemaligen Abendlandes die christliche Anthropologie weitgehend abgelöst hat. Dieser scheint mir beim näheren Hinsehen im Grunde genommen selbst eine Art (Ersatz-) Religion zu sein. Denn er postuliert genau jenes Wechselverhältnis zwischen Sein und Tun, das eigentlich typisch für Religionen ist. Im Humanismus kommt nämlich jedem Menschen von vornherein Wert zu, ohne, dass dadurch der Einzelne von seiner moralischen Verantwortung entbunden wäre. Der Hauptunterschied zur echten Religion besteht darin, dass der Mensch selbst den absoluten Maßstab bildet. Nicht mehr aufgrund seiner Gottebenbildlichkeit, sondern aus einer implizit postulierten Göttlichkeit heraus kommt dem Menschen sein Wert zu. Ebenso gilt die moralische Verantwortung nicht mehr Gott, sondern nur sich selbst und den übrigen Menschen gegenüber. Im Prinzip greift der Humanismus das naturalistische Menschenbild auf, ohne jedoch dessen grundlegende Abwertung des Menschlichen  mitzuvollziehen. Dies erscheint mir durchaus ehrenhaft, wenn auch nicht ganz konsequent. Der so oft vernommene Ausspruch, auch ein Atheist könne ein guter Christ sein hat bekommt so für mich einen schalen Beigeschmack, da dem Atheisten dabei unterstellt wird, er könne etwas werden, das es seiner eigenen Weltanschauung zufolge eigentlich gar nicht geben kann - es sei denn er ist Humanist und damit zumindest Pseudoreligiös. 
Denn das ist der Humanismus: Eine Religion ohne Gott, die also den Menschen zum Gott erklärt.


Wenn der Humanismus den Menschen zum Gott erhebt, der Naturalismus ihn hingegen zum Tier erniedrigt, wo wird also der Mensch als das gesehen, was er ist? Eindeutig in der Religion. Der vielleicht wichtigste Unterschied zwischen den religiösen Anthropologien ist, dass die einen Ansatz 2 von Ansatz 1 ableiten und umgekehrt. Das heißt, sie sind entweder optimistisch oder fatalistisch. Die deterministischen Religionen sagen also: Dieser handelt gut oder schlecht, weil er ein guter oder schlechter Mensch ist. Die optimistischen hingegen: Dieser ist gut oder schlecht, weil er gut oder schlecht handelt. Denn das ist ja die große Frage, was zuerst gewesen ist, die moralische Qualität oder die Tat? Könnte es nun aber sein, dass beides seine Gültigkeit hat, ohne den jeweils anderen Teil zu  entwerten, dass also mein Wert schon feststeht, jedoch durch mein Verhalten sich nachträglich abändern lässt? Der katholische Glaube, so wie ich ihn verstehe, ist weder eindeutig fatalistisch noch optimistisch. Die große Schwierigkeit bei der Ermittlung seines eigentlichen Charakters besteht darin, dass er heute über weite Strecken eng
 mit dem Humanismus verquickt ist und dessen streng optimistisches Menschenbild übernommen hat. Denn im Humanismus verhält es sich ja so, dass der Mensch schon von vornherein als gut angesehen wird, jedoch mit dem Potential, noch viel besser werden zu können. Das Schlechte kommt eigentlich nur noch inform einer seltsamen Anomalie vor, für die keine rechte Erklärung Zur Hand ist, weshalb dem Humanismus die Tendenz innewohnt, das Böse an sich zu relativieren, oder es aber mit den beiden entgegen gesetzten deterministischen Anthropologien zu identifizieren, der fatalistischen Religion und dem darwinistischen Naturalismus. Diese Sichtweisen wären demnach nicht böse, weil es so etwas wie das von vornherein böse gäbe, sondern weil sie Unwahrheiten konstruierten, durch die das Böse erst in die Welt käme.

Vor der Aufklärung besaß das Christentum, eine starke Neigung zum Fatalismus. Dafür ist es seitdem heftig angegriffen worden, bis es sich unter dem öffentlichen Druck schließlich zum Optimismus bekehrt hat. Schön und  gut, dass das Christentum sich bekehrt hat. Doch hat es dabei sein eigentliches Wesen nicht verleugnet? Ist es damit nicht zu einer bloßen Spielart des Humanismus verkommen, in der Gott ein in erster Linie dekorativer Zweck zukommt? Kein Wunder, wenn sich ungläubige Humanisten und moderne Katholiken heute so gut vertragen und in den öffentlichen Debatten fast immer auf derselben Seite stehen (Stichwörter: Umweltschutz, soziale Frage, Zuwanderung). Wie man nämlich zu all diesen Fragen steht, hängt primär davon ab, ob man nach moderner Lesart ein guter (optimistischer) oder böser (fatalistischer) Mensch ist.

Die Verwirrung ist also groß wie nie zuvor. Das Etikett "katholisch" war noch nie so irreführend wie heute. Gibt es nicht vielleicht einen "wahren" Katholizismus, der in den Stürmen der Zeit verloren gegangen ist? Und wenn es ihn gibt, ist er dann nicht fatalistisch, wie er es im Mittelalter gewesen? Oder doch noch einmal ganz anders? Wenn die "wahre" Religion die beiden Extreme der Vergöttlichung und Vertierung des Menschen vermeidet, findet sie vielleicht auch einen Mittelweg zwischen Fatalismus und Optimismus?

Ich behaupte: Wenn der Humanismus ohne Gott auskommt, dann braucht Gott auch den Humanismus nicht. Was  ich damit sagen will: Die wahre Religion muss gar nicht (ja darf vielleicht nicht einmal) humanistisch sein. 
Wir sind es gewohnt, gerade auch in der Religion, alles immer anthropozentrisch zu sehen. Also steht auch in der modernen Religiösen Praxis stets der Mensch im Mittelpunkt, mit seinen Anliegen, Sorgen, Wünschen, etc...
Wie wäre es stattdessen einmal mit ein bisschen mehr Demut? Vielleicht sollten wir endlich aufhören damit, 
Gott ständig mit unseren Wünschen zu belästigen, oder im Gegenzug Verständnis bei Ihm vorauszusetzen 
für uns und unsere Probleme. Vielleicht sollte man Religion einmal von Grund auf neu aufziehen. Die Kirche nicht mehr als Dienstleister für soziale und seelische Nöte, sondern stattdessen als organisierte Verehrung des Allmächtigen, Gewaltigen, Unerreichbaren, Unerklärbaren, Angst und Zittern verursachenden Allvaters. In der Rolle von nichtswürdigen Sklaven sollten wir in gebeugter Haltung an den Altar herantreten, nicht weil wir etwas davon hätten (und das tun wir vielleicht auch nicht) sondern weil es unsere Pflicht wäre, vor dem niederzuknien, was uns bei weitem übersteigt. Die Gemeinschaft dürfte dabei auch keine große Rolle mehr spielen, denn was bin 
ich, was sind die anderen denn, die mit mir anbeten? Bloße Menschen, nichtswürdige, erbärmliche Gestalten, schwach und unbedeutend angesichts der furchterregenden Größe Gottes. Und doch herrschte hier auf einmal wieder die große Gleichheit, die sich die Modernisten so sehr wünschen. Hier wären alle gleich unbedeutend vor  Gott. In dieser neuen (alten) Religion würde auch keiner sich mehr anmaßen, ein "guter" Mensch sein oder besser gesagt werden zu wollen. Hier gälte, was Christus formuliert hat: "Niemand ist gut, außer Gott!". 

Und die Ethik? Würde sie hierdurch nicht außer Kraft gesetzt? Keineswegs. Nur wäre sie ganz im fatalistischen Sinne nicht mehr Richtschnur dafür, wie wir zu leben hätten, sondern das Instrument an dem sich die Schlechtig- oder Gutheit des Einzelnen ablesen ließe. Wer gut, oder schlecht ist, das hätte Gott von vornherein bestimmt. Und an den Taten ließen sich die Auserwählten von den Verdammten unterscheiden. Wäre eine solche Religion nicht grausam, zynisch, menschenverachtend? Zweifellos. Doch wer hat gesagt, dass Religion menschenfreundlich sein muss? Jesus Christus gilt uns als Sinnbild des menschenfreundlichen Gottes. Und zu bestreiten, dass Er das ist, wäre Blasphemie. Und doch: Ist Jesus Humanist? Wenn Gott uns in Ihm ein freundliches Gesicht zeigt, heißt das, dass er nur freundlich wäre? Hier liegt, glaube ich, der Hauptirrtum, den das modernistische Christentum in die Welt gesetzt hat. Ja, Jesus liebt uns. Und ja, Gott ist barmherzig. Aber es stimmt schlicht und ergreifend nicht, dass sich Gottes Wesen in diesen Eigenschaften erschöpfen würde. Gott ist viel mehr, viel größer, viel widersprüchlicher. Ein Theologe hat Gott einmal den "ganz Anderen" genannt. Wenn es stimmt, dass Gott nur gut ist, dann dürfen wir nicht  vergessen, dass Gott alleine in absoluter Souveränität festlegt, was gut ist. Er muss es eigentlich überhaupt nicht festlegen, so als würde Er ein Gesetz erlassen, an das Er sich dann zu halten hätte. Die wohl treffendste, finale Definition von "gut" lautet nämlich: das was Gott will. Und hier bitte ich aufzumerken! Denn das bedeutet eine 
ganze Menge. Wenn nämlich (Achtung Fatalismus) nur das geschieht, was Gott will und etwas deshalb gut ist, weil
 Gott es will, dann ist es auch gut, dass ich morgen einen Schlaganfall erleide, dass Menschen hungern, leiden und 
obdachlos sind. Es gäbe schlichtweg gar nichts Böses und sogar der Teufel wäre gut, weil Gott ja gewollt hätte, dass
es ihn gibt. Das ist offensichtlich Unsinn. Aber wenn Gott allmächtig wäre, müsste es doch so sein? Wenn wir nicht annehmen wollen, dass Gott gleichzeitig gut und böse, oder keines von beidem ist, dann müssen wir davon ausgehen, dass Er nicht allmächtig ist. Genauer: Dass Er auf Seine Allmacht verzichtet. Was tritt nun aber an die Stelle der Allmacht Gottes, wenn Er diese freiwillig ablegt? Zweierlei: Der blinde Zufall und der Wille Seiner Geschöpfe. Wenn es aber Willen außerhalb Gottes gibt, dann wäre der Fatalismus widerlegt. Es sei denn, Gott hätte zwar auf seine Allmacht verzichtet, den Menschen aber trotzdem keine Macht anvertraut, sondern beispielsweise nur dem Teufel. Doch bereits ein oberflächlicher Blick auf das Weltgeschehen genügt, um auch diese Annahme zu  widerlegen. Immer hat es Menschen gegeben, die große Macht besaßen, die Geschicke nach ihrem eigenen Willen zu lenken oder zumindest zu beeinflussen. Geschichten von Bekehrung und Abfall legen machtvoll Zeugnis dafür ab, dass es möglich ist, sich für oder gegen Gott zu entscheiden. 
Doch auch hier ist Widerspruch geboten. Denn dass es erwiesenermaßen Menschen gibt, die einen Willen besitzen, beweist noch lange nicht, dass alle Menschen einen haben. Noch viel problematischer wird es, wenn man nun noch Gott und Teufel ins Spiel bringt, die zwar beide keine absolute Macht über die Menschheit ausüben, aber sehr wohl in der Lage sein könnten, in das Weltgeschehen einzugreifen. Nun besitzen wir theoretisch schon vier Parteien: Gott, der zwar nicht allmächtig (sein will), aber dennoch mächtig ist, den Teufel, für den dasselbe gilt, sowie die Menschen mit einem freien Willen und die Willenlosen. Das Argument, Gott müsse doch jeden mit den gleichen Voraussetzungen ausstatten, weil dies gerecht und Er andernfalls grausam wäre, greift ins Leere, da wir bewiesen haben, dass Gott, falls er gut ist, nicht allmächtig sein kann und damit jegliche Ungerechtigkeit mit dem Verzicht Gottes auf seine Allmacht erklärt werden kann, ohne dass Er deshalb weniger gut wäre. Es wäre also wünschenswert, dass alle Menschen einen Willen besitzen. Aber wünschenswert wäre auch der Weltfrieden, etc.
Also ist es sehr wohl denkbar, dass es Menschen ohne Willen gibt. In jedem Falle steht fest, dass nicht alle den  gleichen Willen besitzen. 

Wenn nun also der Wert eines Menschen aus seinem moralischen Handeln resultiert, da es keinen absoluten Determinismus gibt (wenn alles determiniert wäre, wäre Gott nicht gut und es könnte also auch nichts gutes oder schlechtes geben), das moralische Handeln aber reiner Willensakt ist, dann haben wir unsere Richtschnur für den Wert eines Menschen gefunden: Es ist der Wille. Damit steht auch fest, dass nicht alle Menschen gleich wertvoll sind, da bekanntlich nicht alle gleich willensstark sind. Wenn es aber Menschen geben sollte, die gar keinen freien    Willen besitzen, so wären diese auch nicht wertvoller als Tiere. Nun besitzt ja jedes Tier für sich genomme durchaus einen gewissen unveränderlichen Eigenwert. Und wer seinen Willen zum Schlechten nutzt, erwirbt damitdie zweifelhaft Ehre, seinen Wert noch unter den eines Tieres gesenkt zu haben. Es sind also die Willensschwachen noch nicht am schlimmsten dran.

Der Wille aber ist eine Kraft, die erste und wichtigste Kraft der Seele. Wer einen starken Willen besitzt, der ist stark, ob er auch ein Krüppel wäre. Wenn die Starken wertvoll, die Schwachen aber wertlos sind, dann hätten wir hiermit eine Brücke zum Darwinismus geschlagen, der obwohl von seiner Methodik atheistisch, am Ende mehr herausgefunden hat, als die religiösen Methoden. Die Aussage wäre nicht ganz dieselbe, da stark und schwach hier nicht körperlich, sondern mental definiert sind. Aber interessant ist doch, dass die Moral und die Natur im Grunde  genommen dasselbe Gesetz aufstellen: Sei stark, oder stirb.





Dienstag, 24. November 2015

Ein Gedicht (nicht von mir...)

Wohin der Weg?

Du fragst: Wohin der Weg?
... Das kann ich dir nicht nennen.
Denn Weg und Ziel muß doch
Ein jeder für sich kennen!

Nie liegt der Weg frei da:
Ein jeder muß ihn schaffen!
Der breite Weg, so nah,
Er ist doch nur für Laffen.

Du mußt dir deinen Pfad
Durch wildes Dickicht hauen
Und ohne Hilf' und Gnad'
Ganz deiner Kraft vertrauen.

Denn unbetretnes Land,
Das wollen wir erkämpfen,
Und drum des Geistes Brand
Durch nichts uns lassen dämpfen.

Und willst du selbst mir nach,
So mußt du dich bereiten
Auf Schmerzen und auf Schmach,
Auf Öd' und Einsamkeiten.


  Karl Ernst Knodt . 1856 - 1917




Montag, 23. November 2015

Versuch einer Mystik

Was ist das Schlimmste, das einem Menschen zustoßen kann? Offensichtlich die ewige Verdammnis. Schwieriger wird es, wenn man nach dem Schlimmsten fragt, das einem in diesem Leben geschehen kann. Ist es Krankheit, Schande, Armut, plötzlicher Tod, oder Verlust eines geliebten Menschen? Am ehesten wäre wohl die Folter zu nennen. Körperliche Schmerzen sind wohl dasjenige in der Welt, was die meisten Menschen am meisten fürchten. Oder sie fürchten etwas anderes, bis sie körperliche Schmerzen kennen lernen und erkennen, dass alles, wovor sie sich bisher gefürchtet haben diesen vorzuziehen wäre. Und doch behaupte ich, dass auch dies nicht das Schlimmste per se ist. Denn was für den Einzelnen Folter ist, lässt sich nicht objektiv bestimmen. Die körperliche Folter ist nämlich nur deshalb für eine Mehrheit das widerlichste, weil die Meisten Menschen primär als Leib bestimmt sind. Folter ist das, was den Schwerpunkt, die Mitte der Person verletzt. Diese Mitte ist aber keineswegs bei allen die Gleiche. Man macht sich ja im Allgemeinen keinen Begriff davon, wie extrem verschieden die Menschen sein können. Die enorme Variantenvielfalt der Physiognomien wird noch bei Weitem übertroffen von der unüberblickbaren Unterschiedlichkeit der Seelen. Zwar mag es auch in diesem Bereich so etwas wie einen Mainstream geben, der wahrscheinlich eine solide Mehrheit aller Individuen umfasst, oder meinetwegen auch einige wenige wiedererkennbare Stereotypen in die sich jene Mehrheit aufteilen lässt. Aber die Extreme in der Seelenwelt können so krass ausfallen, dass physische Unterschiede dagegen zur Randnotiz verblassen. Die hässlichste Missgeburt und die schönste Frau der Welt (wer ästhetische Extreme sucht, der blicke nach den Frauen) trennen nicht ansatzweise so viele Welten, wie beispielsweise... nun, hier wird es mit Beispielen schon schwierig. Denn wer hat schon jemals eines anderen Seele gesehen? Wer kennt auch nur eine einzige Person gut genug, sei es der eineiige Zwilling, oder der Ehepartner um eine ungefähre Kenntnis von ihrer Seele zu besitzen? Selbst die Liebe schützt nicht vor Oberflächlichkeit. Man kann sich zum Lieben sehr wohl mit der Oberfläche des Anderen begnügen, oder mit einem Zerrbild das man sich von ihm macht. Aber jemanden wirklich zu kennen, in sein Innerstes zu sehen, das mag wohl vielen ebenso verwehrt bleiben, wie das Angesicht Gottes zu schauen. Ich werde an dieser Stelle also kein Beispiel anführen. Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich zwei (extrem eigene) Personen gut genug kenne, um die Tiefe des Abgrundes zu ermessen, der deren Seelen trennt, würde die Nennung dieser Personen nicht viel Eindruck machen, da es schier unmöglich ist, dass mehr als eine Person die selben zwei Menschen derart gründlich kennt. Hier ist wohlgemerkt nicht die Rede von ordinären Charakterzügen, die sich beobachten lassen und von den Psychologen mit schlauen Namen bedacht werden, sondern von dem, was einen Menschen im Innersten ausmacht. Wer noch nie etwas vom göttlichen Wesenskern des Menschen gehört, oder besser gesagt verstanden hat, oder mit dieser Vorstellung keine Probleme hat, weil er sich Gott als netten, gutmütigen Onkel vorstellt, sei an dieser Stelle eingeladen, einen Moment inne zu halten und betreten zu schweigen (Wenn es einen perfekten Weg gibt, um Leser zu verprellen, dürfte ich drauf und dran sein, ihn zu entdecken). Wo in physisch-materieller Hinsicht noch klare Verhältnisse herrschen, den Naturgesetzen, die klare Grenzen zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen abstecken sei es gedankt, da wirft die geistig-immaterielle Wirklichkeit alles auf den Kopf, denn dort ist auf einmal alles möglich, gibt es nichts, was absurd genug wäre, um nicht zu existieren. Der Leib ist in gewissem Sinne immer relativ, er ist abhängig, nicht autark, steht immer in irgendeinem Verhältnis zu seiner Umwelt. Der Geist hingegen besitzt zumindest das Potential zum Absoluten. Im Geiste ist darum alles möglich - und das exakte Gegenteil davon. Nun mag der aufmerksame Leser einwenden, es sei ja bisher um die Seele gegangen, und die sehr berechtigte Frage aufwerfen, auf welche Weise jetzt auf einmal der Geist ins Spiel gekommen sein soll? Dem Geist kommt große Relevanz in allen die Seele betreffenden Fragen zu, insofern die Seele als ein Bindeglied zwischen ihm und dem Körper betrachtet wird. Dieser Vorstellung liegt ein Vierwelten-Modell zugrunde, welches wie folgt lautet: Es gibt in der Welt 4 absolute Dimensionen, welche zwei Gegensatzpaare bilden. In der Vertikale befinden sich "das Gute", also Gott (oben) und "das Böse", der Teufel (unten). Zur Linken Gottes steht die Materie, zu Seiner Rechten der Geist. Die vier Dimensionen bilden ein Kreuz, an welches der Mensch geheftet ist, sodass er alle Dimensionen berührt. Dieses wird noch einmal geschnitten von einer Diagonale und zwar von links unten nach rechts oben. Die um die Mitte gruppierten 4 Felder bilden noch einmal 4 Subdimensionen. Links unten ist die Welt, deren Schöpfer Satan ist, die Hölle auf Erden, in der kein Geist ist, außer dem Geist des Bösen (Zusatzbemerkung: Geist meint hier nicht dasselbe wie den Geist als Grunddimension des Daseins. Satan ist Geist, genau wie Gott. Beide bringen jeweils eine geistige und eine materielle Welt ins Dasein). Dieser irdischen Hölle schräg gegenüber steht die Dimension der Engel, die Welt des rein geistigen Guten, die Gott hervorgebracht hat. Unterhalb dieser liegt Satans Reich der Dämonen, geistig und böse. Im oberen linken Viertel schließlich sitzt die gute materielle Welt, die ursprüngliche Schöpfung Gottes, darin die ersten Menschen wandelten. Gott und Teufel stehen außerhalb der Welt, wirken jedoch in ihr, während Materie und Geist die Grenzen der Welt bilden. Die Vertikale weist über sich selbst hinaus, die horizontale hingegen bildet die natürliche Welt, in der Wir leben. Die geistige Dimension zur Rechten Gottes meint hier nicht die übernatürliche transzendente Geistwelt, sondern die Vernunft, das was nicht materiell, aber trotzdem eindeutig existent ist. Über der Vernunft befindet sich der Äther, die Welt der Engel usw, unterhalb die Welt des Dämonischen und der Magie. Die natürliche materielle Welt und die geistige Vernunft bilden die Horizontale, den Querbalken. Beim jüngsten Gericht wird das Kreuz zuerst in der Waagerechten auseinander gerissen werden, alsdann werden auch die verbleibenden Hälften des Längsbalkens umstürzen, sodass die Trennung zwischen Materie und Geist im neu entstandenen Himmel und der ewigen Hölle (im Unterschied zur "Hölle auf Erden") jeweils aufgehoben sein wird. Deshalb (so stelle ich es mir in meiner unendlichen Naivität und Tollkühnheit vor) wird der Antichrist, also das fleischgewordene Böse auch erst zur Zeit des Gerichtes auftreten. Der Umsturz des Längsbalkens also ist gleichbedeutend mit der Erscheinung des Antichrist und dem zweiten Kommen Christi. Wenn nun also die Schranke zwischen Materie und Geist in beiden Ebenen aufgehoben sein wird, wird an die Stelle der Horizontalen ein Spalt treten, der die neue Schöpfung und das Reich des Bösen für immer scheidet. Auf die Dimension der Zeit und die zusätzlichen 4 sub-Subdimensionen, die Schnittmengen zwischen guter und böser Materie, guten und bösen Geistern, Dämonengeistern und Dämonenwelt, sowie Engelswelt und Paradies (nicht zu verwechseln mit dem historischen Paradies) bin ich hier nicht eingegangen, weil dies dann doch etwas zu weit führen würde. Alles was uns jetzt noch interessiert, ist die Vierung, das kleine Quadrat, wo die Balken sich kreuzen, denn an dieser Stelle befindet sich die Seele. Sie ist einer gigantischen Spannung ausgesetzt, denn von 8 Seiten wirken verfeindete Kräfte auf sie ein, sodass es sie fast zerreißt. Der einzige Grund, warum es sie nicht zerreißt, ist, dass, solange sie in diesem Leben ist, ein Equilibrium zwischen den Kräften um sie herum herrscht. Sobald ein Ungleichgewicht entsteht, stirbt der Mensch, Träger der Seele, mit seinen Gliedern auf das Kreuz gespannt, um entweder selig, oder verdammt zu sein (stirbt man eines unnatürlichen Todes, lag es an der Spannung zwischen Materie und Geist, an einem unnatürlichen Tod hingegen haben Gott und Teufel Anteil). Es bietet sich nun doch an, die Zeit ins Spiel zu bringen: Sie ist das Material, aus dem das Kreuz gefertigt ist. Vergeht die Zeit, folgt alles weitere von selbst. Um aber nun noch einmal auf die Anfangsproblematik, also das Leib-Geist-Seele -Problem zurück zu kommen... 
Leib und Geist sind den beiden Hauptsphären des Materiellen und Spirituellen (links - rechts) zugeordnet. Sie sind weder gut, noch böse, sondern beides. Die Seele aber, der exakte Mittelpunkt ist weder gut, noch böse, noch zwingend beides. Sie ist der größte Widerspruch des Universums. Ihre bloße Existenz widerspricht aller Vernunft, denn sie ist die Schnittstelle zwischen Geist und Leib, Gott und Teufel. Und plötzlich wird es völlig klar, warum man sterben muss, oder, noch krasser, mit den Worten des Evangeliums "seine Seele verlieren," um in das Himmelreich zu gelangen. Denn dieser Widerspruch, den die Seele darstellt muss gelöst (also aufgelöst) werden. Das heißt, in dem Moment, da ein Mensch die ewige Seligkeit erlangt, zerreißt es ihn sprichwörtlich im Innersten, weil sein (mystischer) Körper unter dem Übergewicht Gottes nachgibt. Doch, wenn Erlösung auf solche Art geschieht, so mag man nun fragen, was bliebe dann von dem Erlösten übrig?  Wir dürfen uns jenes Bild vom Kreuz (dem in sich gespaltenen Kosmos) an dem der Mensch aufgespannt ist, mit seiner Seele im Zentrum keineswegs statisch vorstellen. Denn das, was da aufgespannt ist, der Mensch nämlich, ist elastisch. Statisch ist die hölzerne Zeit. Sie ist das einzige, das überhaupt statisch ist, denn die sie umgebenden 8 Haupt- Sub- und Subsubdimensionen sind hoch dynamisch. Die Stärkste Spannung wirkt zwischen Gott und Teufel, sie ist die alles Entscheidende. Doch es kommt noch eine letzte Kraft hinzu, die des Menschen, die ihm seine Seele verleiht. Die Seele ist also auch dynamisch. Sie kann durch Einsatz ihrer Kraft entweder mithelfen, ihren Träger zu zerreißen, in dem sie einer der Kräfte hilft, oder mit Gewalt eine Entscheidung hinauszögern, indem sie sich gegen alle Kräfte gleichzeitig stemmt, oder mit den Worten Jesu "ihr Leben festhält". Dies ist es, was wir Mittelmäßigkeit zu nennen belieben, das bloße Verharren in der Mitte der realen und - wie wir gleich heraus finden werden - der eigenen Welt. Die endgültige Verweigerung einer Entscheidung zwischen den das Individuum umgebenden Kräften, die freilich so endgültig auch wieder nicht ist, denn man zögert sie ja dadurch nur bis zum Tag des Gerichts hinaus, wo alles entschieden wird. Es wird aber alles noch eine Stufe komplizierter. Denn bisher haben wir nur erörtert, was außerhalb der Seele liegt. Richten wir unseren Blick nun also auf das Innere der Seele. Sie ist nämlich keineswegs ein Fixpunkt, ein Atom quasi, sondern birgt in ihrem Inneren (man merke auf!) noch einmal ein komplettes Abbild des sie umgebenden Universums! Alles außerhalb der Seele wollen wir die objektive Welt nennen. Das Abbild dieser Welt im Inneren hingegen die subjektive. Das Bild (dessen Unzulänglichkeit mir vollkommen bewusst ist) wollen wir an dieser Stelle bitte sehr wörtlich nehmen. Wenn die subjektive Welt nämlich ein Abbild der objektiven ist, lässt sich keineswegs mehr behaupten, die eine hätte mit der anderen nichts zu tun. Die beiden Welten haben sogar sehr viel mit einander zu tun. Doch was ist nun das, was sie miteinander zu tun haben? Wir wollen es das Interesse nennen. Das Interesse nämlich ist das Verhältnis, in dem sich die innere zu der äußeren Welt befindet, genauer: das Verhältnis in dem sich der innerste Wesenskern der Seele zur subjektiven Welt befindet, wodurch er indirekt Einfluss nimmt auf sein Verhältnis zur objektiven Welt. Und von diesem Verhältnis hängt schlechthin alles ab. Das Verhältnis schafft eine Durchlässigkeit zwischen subjektiver und objektiver Welt. Dadurch wird das innere Abbild des Universums veränderlich. Denn je nachdem, wie das Individuum durch seine Kraft das Kräfteverhältnis im inneren Spannungsfeld verändert (das äußere kann es nämlich nicht beeinflussen) gewinnt nun tatsächlich die eine oder andere, der um es streitenden Kräfte des Universums die Oberhand. So entsteht ein Wechselverhältnis zwischen den von außen wirkenden Mächten und der inneren Kraft der Seele. Nun wäre es aber zu einfach, wenn die Mächte alle gleich stark an der Seele zerren würden. Tun sie nämlich nicht. Der ans Kreuz genagelte Mensch war ja kein Bild für das Universum an sich, sondern nur für die Stellung des Einzelnen darin. Die Lebenssituation einer Person ergibt sich in einem ersten Schritt daraus, welche der Mächte wie stark auf sie einwirken. Erst in einem zweiten Schritt wird die Person dazu befähigt, selbst an ihrem Schicksal mit zu wirken. Die Art und Weise, wie sie diesen Schritt vollziehen soll, hängt aber ganz und gar davon ab, was im ersten a priori geschehen ist. Aus diesem entscheidenden Sachverhalt ergibt sich das, was man die Bestimmung, oder Berufung eines Menschen nennt. Nur ungern trotze ich der Versuchung, dazu Beispiele anzuführen, dieses mal nicht, weil es unmöglich wäre, sondern weil ich zu einem Ende kommen sollte. Halten wir nur fest: Meine Berufung wird schon festgelegt, bevor meine eigene Entscheidung ins Spiel kommt. Die Eigenkraft der Seele, durch die sie ihre innere Welt gestaltet (sich also mit der Phantasie, einem Teil von sich, ähnlich Gott schöpferisch betätigt) und so gegen die Realität (ein allzu schwaches Wort, das damit auszudrücken, was ich eigentlich meine!) durchlässig wird, sodass diese wiederum auf die innere Welt einwirkt will ich als den Willen benennen. Merken wir uns: Durch den Willen lässt sich immer nur ausschließlich die subjektive Welt verändern, aber durch diese Veränderung bricht die Realität erst in sie ein. Niemand ist deswegen weiter von der Realität entfernt, als wer in sich ruht. Er hat außerdem die Ruhe nicht etwa in sich selbst gefunden, denn da kann keine Ruhe sein, sondern er hat sie mit einem Gewaltakt selbst hergestellt, indem er sich buchstäblich zusammenriss, um das Equilibrium zwischen inneren Kräften und äußeren Mächten wieder herzustellen.
Wenn der Wille eine Kraft ist und Kraft etwas mit Macht zu tun hat, Macht aber Stärke ist, dann hängt der Wille mit der Macht zusammen, genauer: Mit seinem Verhältnis zur Macht; und kann, wenn er stark ist, leicht mit Macht verwechselt werden. Denn: Macht hat man nicht. Macht wirkt auf einen. Man bildet sich vielleicht ein, Macht zu haben, wenn eine Macht zufällig in der Weise auf das eigene Leben einwirkt, die man sich gewünscht hat (wobei Wünschen wiederum ein Willensakt wäre - und dies ist der Zusammenhang von Wille und Macht). Der Wille wünscht und die Macht reagiert, jedoch keineswegs zwingend in der Weise, die er gewünscht hat. Denn ob der Einfluss des Eigenwillens auf die innere Welt ausschlaggebend ist, das hängt nun ganz von seiner Stärke ab. Nehmen wir einmal an, Gott und Teufel, Materie und Geist würden auf ein Individuum in der Weise einwirken, dass keine Macht die Oberhand gewänne. Dann hätte es zunächst einmal wirklich Ruhe, welche auch in diesem Falle nicht von Innen käme, sondern vielmehr das Resultat äußerster, jedoch gleichbleibender Spannung von Außen bliebe. Die geringste Willensregung seinerseits würde nun jenes Gleichgewicht in einem Augenblick zerstören und zum Sieg von Gott oder Teufel im Ringen um seine Seele führen, denn, wir erinnern uns, die vertikale Spannung überwiegt stets die horizontale (bzw. würde durch ein Zerbrechen des Kreuzes die vertikale Schranke einstürzen, die horizontale jedoch endgültig undurchlässig). Diese (rein fiktive) Situation wäre das, was allgemeinhin als der freie Willensakt bekannt ist. Da dieser Fall jedoch für gewöhnlich niemals eintritt, die Fliehkräfte stattdessen unterschiedlich stark auf die Seele einwirken, tritt die Stärke des Willens als (wiederum nicht zwingend) entscheidender Faktor hinzu. Im schlimmsten Falle wirkt eine der Fliehkräfte so stark, dass die Seele mit ihrem Willen gar nicht mehr dagegen halten kann. Das nennt man Schicksal. Keineswegs ist es so, dass alles Schicksal wäre und dass niemand eine Wahl hätte. Aber es gibt das Schicksal und es kann (muss nicht) einer Person die Entscheidung abnehmen. Im günstigeren und weitaus häufigeren Falle besitzt die Seele genügend Kraft, um bis zum Eintritt des (natürlichen) Todes (also dem finalen, wenn auch nicht unabwendbaren Einbrechen des Schicksals in ihr Leben) die Entscheidung hinaus zu zögern (Stichwort Mittelmäßigkeit: "In der Ruhe liegt die Kraft"). Das wäre dann auch Schicksal, nur eben verzögertes. Im höchst seltenen optimalen Falle ist eine Seele stark genug, um selbst zum Zünglein an der Waage zu werden, ja vielleicht sogar dem Schicksal in die Speichen zu fahren. Dies wäre dann ebenfalls ein "freier Willensakt", kraft einer Freiheit allerdings, die man ihr nicht geschenkt, sondern die sie sich genommen hätte, der, wie die beiden vorangegangenen Beispiele ebenfalls in den Tod des Betreffenden resultieren würde, da ja die Spannung durch Eskalation gelöst würde (denken wir immer daran, dass der Willens- oder Kraftakt eine Form von Mitarbeit mit den äußeren Mächten bedeutet) . Die Menschen, denen so etwas gelingt, nennt man entweder Heilige oder z.B. Bestien, je nachdem wofür sie sich entscheiden. Eindeutig gut und böse sind nur die Menschen, die einen gigantischen Willen besitzen. Alle anderen sind zur Mittelmäßigkeit verdammt und mehr oder weniger dem Schicksal ausgeliefert. Allerdings gibt es noch einen Sonderfall, der alleine deshalb berücksichtigt werden muss, weil er wesentlich häufiger eintritt als der optimale. Wenn nämlich einer z.B. aufgrund von Angst eine gewisse Zeit seines Lebens in jenem künstlich erzeugten Ruhezustand verbracht hätte, diesen feigen Kraftaufwand eines Tages bereuen würde, aber festgestellt hätte, dass Gott seine Seele stärker an sich zieht, als Satan, dann bestünde sein ganzes Verdienst (mit dem er sich das ewige Leben verdiente) darin, den Widerstand gegen Gott aufgegeben zu haben und er wäre gerettet. Vielleicht ist mein Modell ja fehlerhaft (nun, ganz bestimmt sogar, aber gerade an dieser Stelle?) und es verhält sich mit allen Menschen so? Meint Paulus das, wenn er sagt "wo ich schwach bin, bin ich stark"? Das kann ich jedenfalls nicht glauben. Und genau hier liegt das Problem, egal, welches Modell man zur Anwendung bringt, denn Glaube ist am Ende nichts als ein bloßer Willensakt. Hinter jedem schwachen Glauben steht ein schwacher Wille. Dieser Wille wird zwar durch seine Kooperation mit den Mächten (je nachdem an welche Macht man glaubt - man kann ja auch an die Welt glauben, oder an den Teufel) erst wirksam, weshalb auch der durch Glauben gerettete nicht behaupten könnte, sich selbst gerettet zu haben und doch ist er ausschlaggebend für das Schicksal, entweder durch seine Schwäche, oder durch seine Stärke.
(Wird fortgesetzt...)

Sonntag, 22. November 2015

Eine Zugfahrt

Sie sind laut, sie sind hibbelig, sie sind immer gut gelaunt, sie lachen und kichern, klappern mit den Deckeln der Müllbehälter, machen dumme Geräusche unterhalten sich entschieden zu laut - man muss sie einfach lieb haben. Einer raunt direkt hinter mir etwa 736mal hintereinander "Justin! Justin! Justin! Justin!..." Bis Justin ihm endlich Gehör schenkt. Eigentlich war dann aber gar nichts. Dabei sind die Jungs noch weniger nervig als die Mädel. Letztere halten sämtlich die unvermeidlichen Smartphones in Händen, deren erstaunlich kräftige Lautsprecher das gesamte Abteil gratis mit debiler "Charts"-Musik beglücken. Mit den Telephonen machen sie ununterbrochen Photos und kichern dabei, als wäre das irgendwie was verbotenes. Sämtlich sind die lieben Kleinen mit der bemerkenswerten Fähigkeit ausgestattet, sich quasi ununterbrochen bewegen zu können, ohne dabei jemals zu ermüden. Ein Knirps direkt neben mir demonstriert seine Kenntnis der Zahlen bis 113. Dann fängt er von vorne an. Das Spiel scheint großen Spaß zu machen, denn es findet immer mehr Nachahmer, sodass jetzt alle durcheinander bis 113 zählen. Der Bewegungsdrang dieser Kinder kennt keine Grenzen. Vielleicht ist der Sportunterricht an den Schulen doch keine so schlechte Idee. Erstaunt bin ich auch über die Stabilität der Scharniere der Abfallbehälter, die auch stundenlanger Misshandlung durch die Kinder wacker trotzen. Justin scheint in der Gruppe so eine Art Anführer zu sein, obwohl er zu den jüngsten gehört. Alle wollen ständig mit ihm reden. Und wenn sie nicht mit ihm reden, reden sie über ihn. Am liebsten sagen sie aber alle einfach laut seinen wohlklingenden Namen. Der Abfalldeckel machts jetzt wohl doch nicht mehr lange. Gerade als das Geklappere bedrohlich zu werden beginnt verlassen die Kleinen den Zug und ich hab meine Ruhe - nein hab ich nicht. Es stellt sich heraus, dass der Lärmpegel der Kinder nur die übrigen störenden Geräusche übertönt hat, die jetzt ihrerseits in den Vordergrund drängen. Ein Mann telephoniert sehr laut und schnell in einer ausgesprochen exotischen Sprache. Jetzt ist er fertig und verursacht stattdessen Geräusche mit seinem Telephon. Ah, er hat noch einen Sitznachbarn, mit dem kann man sich auch unterhalten und dabei weiter lustige Töne mit dem Handy machen. ... Jetzt endlich, ein kurzer Moment der Stille, nur ein paar Sekunden. Welch ein Glück dass wenigstens kein rücksichtsloser Asi mit Proll-Kopfhörer-Musik in der Nähe ist. Gut, was heißt in der Nähe. Sagen wir, ab 20 Metern Abstand nimmt man es nicht mehr so stark wahr. Ich frage mich schon seit langem, warum diese Leute Kopfhörer verwenden, wenn offensichtlich mehr Lautstärke nach außen, als ins Ohr dringt. Warum nicht gleich Lautsprecher verwenden. Jetzt haben zwei junge  Studentinnen hinter mir Platz genommen, deren Mitteilungsbedürfnis dem der kleinen Kinder in nichts nachsteht. 
Der Redefluss ist so ununterbrochen, dass gleichsam die eine redet, während die andere Luft holt. Irritierend an dem Gespräch ist die überwältigende Anzahl von Worten, die gebraucht werden, um absolut nichts auszusagen. Sie reden um des Redens willen. Die Themen sind so stereotyp und wiedererkennbar, dass man das Gefühl bekommt, bei jeder Zugfahrt neben denselben Studentinnen zu sitzen. Gut, jetzt sind sie auch wieder weg. Langsam entwickelt die Kopfhörer Prollmusik 20 Meter weiter doch eine gewisse Penetranz. Kann es Zufall sein, dass die Kopfhörer grundsätzlich um so lauter sind, je schlechter der Musikgeschmack des Trägers? Ich kann mich nicht erinnern, jemals im Zug Beethoven gehört zu haben. Zweifellos gibt es auch Beethovenhörer in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Doch besitzen diese offenbar einen gewissen Sinn für Rücksicht und Dezenz, der allen Hardrock- und Technospackos völlig fremd ist. Schade. Was ist überhaupt mit diesen Leuten los? Wie kann man sich selbst freiwillig mit diesem debilen Krach volldröhnen? Musik hat den Zweck, den Menschen zu erbauen, anzurühren, vielleicht auch zu beruhigen, oder zu euphorisieren. Doch in welchem geistigen Zustand muss man sich befinden, um Krach erbaulich zu finden? Oder sind das einfach Masochisten? Meine persönliche Vermutung geht dahin, dass diese akustischen Amokläufer aufgrund irgendwelcher schwerwiegender Fehlentwicklungen auf die geistige Stufe von Wilden herab gesunken sind, die eine tierische Lust an allem hässlichen, destruktiven empfinden. So wie ich  der guten alten Zeit nachtrauere, als es noch so etwas wie Umgangsformen gab, wünschen diese armen Irren sich die gute alte Steinzeit zurück. Die Verehrung der Wikinger, eines grausamen Volkes von Mördern und Räubern, oder der heidnischen Barbaren in der Metal Szene spricht Bände. Ich will mich jetzt hier aber nicht über einzelne Subkulturen auslassen, weil eine gewisse Gefahr besteht, dass ich mich dabei strafbar machen könnte. Stichwort "hatespeech". Eigentlich bin ich doch nur ein armer Kulturpessimist, der überall Dekadenz und Regress erblickt und selber noch mehr darunter leidet als die Betroffenen unter seinen bösartigen Kommentaren. Die Menschen sind eben wie sie sind und Leben ist nunmal laut. Vielleicht liegt das Problem auch einfach bei mir, weil ich die sonderbare Eigenart besitze, mich in ruhiger Umgebung wohler zu fühlen. Ich könnte mich doch ein bisschen anpassen und selbst meinen schuldigen Beitrag zur allgemeinen noise pollution leisten? Nein, da bleibe ich dann doch lieber ein Ewiggestriger mit einem Problem.

Samstag, 21. November 2015

Was darf man erwarten?

Warum kann mein Leben nicht anders sein als es ist? Die Möglichkeiten weniger begrenzt, der Alltag weniger langweilig, die Sensationen häufiger, die Farben satter und selbst das Traurige darin: könnte es nicht wenigstens dramatischer sein? Wer solche Fragen stellt, tut dies wahrscheinlich aufgrund der Annahme, es seien durch sein bloßes Dasein schon Ansprüche begründet, die er an dieses Dasein stellen könne. Nach dem Motto: Wenn ich schon leben muss, dann will ich wenigstens ein zufriedenstellendes Leben haben. Doch mit dem eigenen Leben nicht genug. Die Welt ist voller Idealisten, die sich nicht damit abfinden wollen, dass alles so ist wie es ist. Tagtäglich ziehen sie mit feierlichen Lippenbekenntnissen zu Felde gegen alles Übel, gegen Hunger, Krieg, Unterdrückung, Ungerechtigkeiten usw, manchmal sogar mit gewiss gut gemeinten symbolischen Taten. Die Ironie besteht darin, dass mancher "Gutmensch" wie man sie bisweilen herablassend tituliert, sich einbildet, durch seine guten Taten die Welt tatsächlich zum besseren verändern zu können. Die Metapher vom Tropfen auf den Stein mutet in dieser Hinsicht noch euphemistisch an, denn: Wie viel mehr, wie unendlich viel mehr als alle guten Taten der Weltgeschichte zusammen genommen wäre nötig, um wenigstens eine sichtbare Veränderung herbeizuführen? Was wäre zum Beispiel damit getan, wenn eines Tages jeder Mensch, der auch nur irgendetwas besitzt, davon mit den Armen teilen würde? Wäre die Armut beseitigt? Wäre dies der Beginn einer neuen Ära der Brüderlichkeit? Ein paar Tage würden sich alle Wohltäter und ein paar der Armen freuen, um nur zu bald wieder zum Tagesgeschäft überzugehen. Man müsste rückblickend eingestehen, mit diesem nie dagewesenen weltweiten Fest der Barmherzigkeit nichts, aber auch gar nichts verändert zu haben. Oder gehen wir noch einen Schritt weiter: Was, wenn es eine Weltregierung gäbe, die das Vermögen der ganzen Weltbevölkerung einziehen und es dann auf "gerechte" Weise wieder unter den Leuten verteilen würde, sodass am Ende alle das gleiche hätten? Nur einmal spaßeshalber angenommen, es käme daraufhin nicht zu einer nie dagewesenen Inflation und Warenknappheit, weil das in Umlauf befindliche Geld überhaupt keiner entsprechenden Menge an Ressourcen gegenüber steht. Wäre die Welt nun eine bessere? Wären Armut und Ungleichheit ein für alle mal beseitigt? Offensichtlich wäre es eine Frage von wenigen Monaten, wenn nicht Wochen, bis die alten Verhältnisse mehr oder weniger wieder hergestellt wären. Die einen würden, regelrecht überfordert dadurch, das erste mal im Leben liquide zu sein gleich wieder alles verjubeln. Viele Arme würden vermutlich rauschende Feste feiern, da sie soviel nachzuholen haben. Andere würden die eiserne Sparsamkeit weiter praktizieren, die sie ein Leben voller Entbehrungen gelehrt hat und sich dadurch der Möglichkeit berauben, den neuen Wohlstand überhaupt zu genießen. Wer aber vorher schon reich gewesen ist, der hätte es durch seine angeborene oder erlernte Tüchtigkeit, oder durch schiere kriminelle Energie im Handumdrehen zu neuem Reichtum gebracht. Um die Sache abzukürzen, man würde sich sehr schnell mit der unbarmherzigen Tatsache konfrontiert sehen, dass es nur einen Weg gibt, einzelne Übel aus der Welt zu schaffen: Mit Terror. Mit blankem, entfesselten Terror. Denn die Ursache alles schlechten ist nun einmal der freie Wille. Nimm dem Menschen seine Freiheit, dann kannst du ihn nach Herzenslust zu seinem Glücke zwingen. Denn wir handeln deswegen schlecht, weil wir es können. Es gibt keine innere Notwendigkeit zum Guten. Damit ist freilich noch nichts erklärt. Die Ursachen des Bösen sind vielfältig und unausrottbar wie der Krebs. Wenn die einen aufgrund ihrer Freiheit schlecht handeln, dann tun es die anderen gerade aus Unfreiheit, weil irgend etwas sie dazu zwingt. Welcher "gute" Mensch hat sich niemals dabei ertappt, gegen seine eigenen Überzeugungen zu handeln und wusste vielleicht nicht einmal warum? Es gibt eine unsichtbare Macht, ob sie außerhalb oder innerhalb unserer Selbst sitzt, sei einmal dahin gestellt, die ständig alles verdirbt, einen allgemeinen Drang in der Natur zum Missgeschick. Die alten Griechen hatten ein Wort dafür: αμαρτια - Fehlschuss. Sie wussten, dass das Scheitern eine Grunddimension allen Menschlichen Strebens ist. Weiterhin wussten sie, dass es so etwas wie Schicksal gibt. Die Ursache dafür verorteten sie nicht bei den Geschöpfen, sondern bei den Göttern selbst, die sie sich fehlbar vorstellten und untereinander zerstritten. Danach würden also die Geschicke der Menschen von widerstreitenden Mächten gelenkt, die sich gegenseitig ins Handwerk fahren, von unzurechnungsfähigen Göttern, die ihre Eifersüchteleien und Fehden auf dem Rücken der Sterblichen austragen, die letzten Endes immer Verlierer bleiben. Hinter dieser allegorischen Mythologie steht eine Weise Erkenntnis: Dass wir Menschen eben nicht Schmiede des eigenen Glückes sind. Dass Glück nur allzuoft im Sinne von Glückhaben eintritt - oder eben auch nicht. Und: Dass es den geraden Weg oftmals gar nicht gibt, dass wir, indem wir einer Anforderung des Schicksals genügen, etwas anderes schuldig bleiben. 
Glück, so fassen wir zusammen, tritt weder mit Notwendigkeit ein, noch ist es überhaupt eine Notwendigkeit. Weder können wir es verlangen, noch es uns selbst erkämpfen. Was ist der Mensch denn, dass er nach Glück zu fragen wagt? Keiner hat sich selbst ins Dasein gesetzt. Jedes Leben, schönes wie schlimmes ist Gabe, ist gratis. Doch gleichzeitig ist es auch Auftrag und Bürde. Verantwortung trage ich nicht für mein Dasein, jedoch sehr wohl dafür. Machen wir uns also einmal die Stellung des Menschen im Kosmos bewusst. Alles wesentliche im Leben wird über seinen Kopf hinweg entschieden, angefangen damit dass er ist. Wenn man sich Verantwortung als etwas vorstellt, das einem durch eigene Taten und Freiheit zukommt, greift das zu kurz. Vielmehr müssen wir uns auch für das verantworten, das wir gar nicht selbst verursacht haben, angefangen bei unserem bloßen Dasein. Nach dem Sündenfall zur Rede gestellt gab Adam Gott selbst die Schuld, da er ihm die Frau, die ihn verführte schließlich "gegeben" habe. Er hätte vielleicht noch hinzufügen können: "Die Schlange, die Du geschaffen hast, verführte uns". Geht man vom bloßen Kausalzusammenhang aus, dann lässt sich tatsächlich sämtliche Verantwortung für schlechthin alles was geschieht, auf den Schöpfer abwälzen. Aber so funktioniert es ja nun einmal nicht. Gott überträgt uns Verantwortung und erwartet von uns, dass wir dieser gerecht werden, obwohl er ja andererseits weiß, dass wir es nicht können. Hiermit kommen wir der Sache schon wesentlich näher. Der Mensch ist nämlich gar nicht in der Position Forderungen zu stellen noch sich zu beklagen. Gott wirft uns in diese Welt hinein, mehr oder weniger gut ausgestattet und verlangt, dass wir uns dort bewähren. So einfach. Das heißt technisch gesehen ist das Leben mehr Bürde als Geschenk. Wäre es nämlich ein Geschenk müssten wir uns nicht für seinen Empfang rechtfertigen. Dann gälte, was uns die heutige Zeit weismachen will: "Es ist doch mein Leben, ich kann damit anfangen, was immer mir beliebt". In Wirklichkeit haben wir das Leben zwar, aber nicht als Besitz, sondern als Leihgabe. Unsere Stellung gegenüber dem Schöpfer ist die von Knechten, nicht bezahlten, sondern Leibeigenen. Deshalb ist übrigens nebenbei der Feudalismus die dem Christentum zugehörige Gesellschaftsordnung, nicht die Demokratie, aber das nur am Rande. Es ist ein durchaus satanischer Zug am zeitgenössischen Humanismus, dass er es wagt, den Menschen mit Gott auf eine Stufe zu stellen. In der religiösen Praxis drückt sich das dann dadurch aus, dass man Gott quasi vom Himmel herunter holen will und sich anmaßt, wie von gleich zu gleich an Ihn heran zu treten. Man soll sich doch nicht einbilden, dass Gott durch seine Menschwerdung auch nur im mindesten auf sein Königtum verzichtet hätte. Gerade haben wir Christkönig gefeiert - hätten wir zumindest feiern sollen. Denn was hat Jesus, unser "Bruder" denn gebracht? Die Königsherrschaft Gottes und keinen kosmischen Kommunismus. Jesus hat die Knechtsgestalt angenommen, aber nicht, weil Er wirklich unser Knecht wäre, sondern um uns den Weg zu weisen, um uns als Mensch in dem voran zu gehen, wozu wir Menschen vom Vater her bestimmt sind, damit niemand mehr behaupten kann, Gott verlange etwas, das nicht menschenmöglich ist. Hüten wir uns also davor, Gott zu instrumentalisieren, Ihn für unsere Zwecke einzuspannen, indem wir von Ihm ein gelungenes Leben erwarten. Dazu haben wir kein Recht. Es gibt auch keine Menschenrechte, die jedem von Geburt an zukämen. Das ist Wunschdenken. Ob einer auch noch so viel Leid zu erdulden hätte, ob er auch frühen Todes stürbe, er hätte doch kein Recht, sich bei Gott zu beklagen, denn alles Recht liegt bei Gott. Menschen haben nur Pflichten, keine Rechte. Und wenn einer es tatsächlich schafft, heilig zu werden, ist das dann ein besonderes Verdienst? Im Evangelium steht es geschrieben: Der Vollkommene hat nur seine Pflicht getan, nicht mehr. Denn wir sind verpflichtet vollkommen zu sein. Wenn den Heiligen dann doch ein Lohn in Aussicht gestellt wird, dann nicht weil sie ihn verdienten, sondern aus reiner Gnade, wie es zum Beispiel sehr schön aus dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg hervorgeht. Gott hätte auch das Recht, Vollkommenheit von uns zu verlangen und uns bei Befolgung trotzdem in die Hölle zu werfen. Denn gerecht ist nichts anderes als das, was Gott will, egal was es auch sei. Unsere herkömmlichen menschlichen Vorstellungen von Gerechtigkeit sind nichts weiter als naiver Idealismus und Sentimentalität. Es gibt also niemals einen Grund zur Unzufriedenheit. Denn alle Vorstellungen die wir uns davon machen, wie das Leben sein sollte, sind bloße Wünsche und Fiktionen.

Donnerstag, 19. November 2015



Jetzt sitze ich also hier in meinem Cityloft, die Cigarette in der Hand, nippe ab und zu an meinem Rotwein und mache mir, während ich mich darüber ärgere, dass der Rauch die Geschmacksnerven verdirbt und ich genausogut Hagebuttentee trinken könnte Gedanken darüber, was man denn so schreiben könnte, in einer Welt die so voll leeren Geschwätzes ist. Naja, gut, genau genommen ist es nur ein Zimmer in einem Kaff, wo Rauchverbot herrscht und mir der Zutritt zum Weinkeller nicht gestattet ist - aber der Rest stimmt. Denn dass heute zu viel geschrieben wird, insbesondere elektronisch, wird man ja wohl noch sagen dürfen. Jede Hausfrau (ich liebe und achte die Hausfrauen) hat heutzutage ihren eigenen Blog. Alle twittern und bloggen und laden Videos und Photos von sich hoch, als ob sie dafür bezahlt würden. Gut, zugegeben, die erfolgreichsten 1000 von 4 Milliarden werden das tatsächlich, aber ganz sicher nicht deshalb, weil sie in irgendeiner Hinsicht interessanter als die unbezahlten Heerscharen wären. Es sind vielmehr die mittelmäßigsten unter ihnen, die ordinärsten, angepasstesten, nichtssagendsten Allerweltsmenschen, denen Ruhm zuteil wird. Weil sie in ihrer (freilich fiktiven) Persönlichkeit die größtmögliche Schnittmenge an Eigenschaften der Durchschnittsexistenzen aufweisen, nur eben in FullHD und mit Zuckerguss drauf. Ich will jetzt gar nicht anfangen, auf einzelne dieser Erscheinungen einzugehen, nur soviel sei gesagt, dass die besten es nie ganz nach oben schaffen werden in der Gunst des Auditoriums, weil dort kein Platz ist zwischen all den Internetprominenten, die es genau wie Fernseh- und Kinoprominente nicht einmal verdienen überhaupt gekannt zu werden. 
Ja, die Aufmerksamkeit, sie ist ein rares Gut, eine wertvolle Ressource. Ähnlich wie beim Geld mag genug davon vorhanden, aber dieses sehr ungleich verteilt sein. Und warum wollen alle Aufmerksamkeit? Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Damit sie nicht verschwinden. In einer Welt, in der der Schein das Sein abgelöst hat als identitätsbildende Macht, fürchtet so mancher zurecht, sich in Luft aufzulösen, wenn er wie solche behandelt wird. Dies ist längst eine Welt voller Solipsisten, für die nur das existent ist, was sie wahrnehmen und auch nur solange sie es wahrnehmen. Aber ja, Herr Professor, selbstverständlich hält der Solipsist die von ihm wahrgenommene Welt eigentlich auch nicht für existent, aber es hat nun einmal gerade rethorisch so gut gepasst! Oder? Tut er das? Wenn die Welt das ist was ich wahrnehme, also nichts gleichbleibendes in ihr ist, existiert sie dann überhaupt? Nun gut, davon ein andermal. Worauf ich hinauswollte ist, dass jedermann darum bettelt wahrgenommen zu werden, weil die eigene reduzierte Daseinsweise sonst allzu berechtigten Anlass zum Zweifel an der eigenen Existenz gibt. Man mag dies nun entschuldigen und relativieren und verhamrlosen, doch ist das meine Sache nicht. Wofür Ich mich jetzt allerdings zu rechtfertigen habe, ist, dass ich es nun wage, mitzumachen, gleichsam mich einreihe in den Marsch der digitalen Selbstdarsteller der in das Luftschloss des Selbstbetruges, bestenfalls das der Massentäuschung führt. Dafür sollte ich mich wohl schämen, wenn ich nicht, wie bisher in allen Lebenslagen gute, geradezu herausragende Gründe für diesen Fauxpas hätte.
Zunächst einmal marschiere ich zwar mit, doch eher wie einer, der zufällig beim Flanieren in eine Massendemonstration geraten ist (wie ich Demonstrationen verabscheue! Selbst eine gute Sache muss schon sehr gut sein, dass Menschen sich dafür zum Pöbel erniedrigen lassen) und nun nicht gewillt ist, die ebenso zufällig gewählte Richtung wieder zu ändern, nur weil ärgerlich genug der Mob auf die gleiche Idee gekommen ist. Das heißt, ich tue es nicht, weil es alle tun, sondern obwohl es alle tun. Doch damit nicht genug der guten Gründe! Es hat sich herausgestellt, dass sich durch das Abfassen eines Tagebuches die Gedanken klären lassen und man dadurch in die Lage versetzt wird, retrospektiv das eigene Leben zum geeigneten Zeitpunkt zu betrachten, was immer ein gutes Gefühl ist. Nur hat ein echtes Tagebuch gegenüber den exhibitionistischen virtuellen den schweren Nachteil, dass man in ihm nur Selbstgespräche führen kann. Man schreibt anders, wenn es ein potentielles Publikum gibt. Man reißt sich etwas zusammen, nimmt sich in Acht bei dem was man schreibt (und hat nichts das geschriebene Wort eine nicht zu unterschätzende Macht?). Außerdem kommt die von mir selbst gerade in diesem Moment entdeckte Faustregel zur Anwendung, dass man nichts zu sich selber sagen sollte, was man nicht auch vor anderen bekennen würde. Schließlich erweckt man im
günstigsten Falle vielleicht sogar ohne die Verbindlichkeit eines Briefes bemühen zu müssen bei dem ein oder anderen Leser stille, oder gar offene Sympathie. Man stelle sich vor, es könnte eines Tages ein Gleichgesinnter auf meinen Blog stoßen! Der Mainstreamblogger hat tausende Gleichgesinnte, aber was ist das schon wert. Hingegen wenn mir jetzt ein paar Kennerherzen zufliegen würden... - aber lassen wir das.
Da ich nun glaube mich ausgreichend gegen kommende Vorwürfe des Selbstdarstellertums, der Oberflächlichkeit und der Schamlosigkeit verteidigt zu haben, schreiten wir auch gleich zum Tagesgeschäft. Nein. Wenn ich es recht bedenke, lieber morgen, oder ein andermal. Wie es eben kommt. Denn so lebt man nun einmal als der Flaneur.

P.S.: Ich denke keineswegs in diesem jovialen Tonfall fortzufahren, war nur vielmehr in Sorge, gleich beim ersten Eintrag Leser zu vergraulen. Im Allgemeinen wird dieses Diarium nur todernste, schwer verdauliche Themen behandeln. Nur Politik jetzt unter allen Dingen bestimmt nicht. Denn dafür bin ich mir zu schade. Diese "Alle machen mit" -Mentalität, dieses Geschwurbel von unseren "Werten" und von der besten aller mögliche Welten in der wir angeblich leben - das ekelt mich nun doch zu sehr an. Hin und wieder werden wir vielleicht die Politik ein wenig streifen, doch möchte ich an dieser Telle betonen, dass dies kein politisches Tagebuch sein will. Hier soll der Geist der Kritik regieren, nicht der Ungeist irgendwelcher Parteien. Denn Parteien halte ich für notwendige Übel, wengleich die Notwendigkeit noch dahingestellt sein darf. Parteien sind im besten Falle pragmatisch, im schlimmsten idealistisch ausgerichtet. Mir mißfällt beides. Also wie gesagt, kein Wort zu Politik hier.