Mittwoch, 25. November 2015

Von wertem und unwertem Leben

Woran bemisst sich der Wert eines Menschen? An seiner moralischen Grundhaltung? An seinen Talenten? An seinem Altruismus, an der selbstlosen Liebe, die er anderen schenkt? Oder an etwas ganz anderem? Besitzt vielleicht jeder Mensch, sei er gut oder böse von Geburt an einen unzerstörbaren Eigenwert, einfach dadurch dass er Mensch ist? Sind vielleicht deshalb alle Menschen gleich wertvoll? Ich sehe drei grundlegende Ansätze zur Bewertung des Individuums:
1. Der ontisch metaphysische Ansatz, der von dem ausgeht, was einer ist. Dieser Ansatz könnte eine Gleichwertigkeit der Individuen nahelegen, insofern das Menschsein, das sie alle eint gleichzeitig auch den Wert der Person determiniert. Der Wert des Einzelnen stünde demnach schon von vornherein fest. Diese Betrachtungsweise liegt vor allem den religiösen Anthropologien zugrunde, allerdings nicht ausschließlich.
2. Der ethische Ansatz, welcher zur Bewertung die Taten einer Person heran zieht. Bei dieser Betrachtungsweise könnte jemand immer nur so gut oder schlecht sein, wie seine Taten. Der neugeborene Mensch wäre demnach von seinem Wert her noch ein unbeschriebenes Blatt, ausgestattet mit dem Potential, Ruhm oder Schande zu erwerben. Von vornherein scheint der moralische Ansatz mit dem ontischen nicht vereinbar, da er auf eine radikale Ungleichwertigkeit der Individuen hinausliefe. Denn unser Sein ist es, was uns vereint, unsere Taten hingegen unterscheiden uns. Die Moral steht in den Religionen trotzdem neben dem metaphysisch - ontischen Ansatz, wobei zwischen beiden meistens ein Wechselverhältnis gesehen wird, sodass je nachdem die Taten die Qualität ausmachen, oder die Qualität die Taten. Allerdings kann dieser moralische Ansatz auch losgelöst von Religion Anwendung finden.
3. Der naturalistische Ansatz, der die Taten des Einzelnen von seinem Sein ableitet, dieses Sein jedoch anders bestimmt, als der ontische Ansatz, nämlich nicht normativ, sondern deskriptiv. Aus dem Geschöpf wird so eine bloße Entität, aus dem Menschen ein Säugetier. Auch wird Wert hier anders definiert, nämlich utilitaristisch, sodass Wert mit Nutzen gleichgesetzt wird, wobei das Wofür des Nutzen unhinterfragt bleibt. Man beschränkt sich auch hierbei auf die beobachtete Grundtendenz aller natürlichen Lebewesen, welche dahin geht, den eigenen Organismus gesund zu erhalten und die eigene Art zu erhalten, je nachdem vielleicht noch erweitert um das materielle Wohl der eigenen Sippe, oder des Staates. Die Frage nach dem Sinn kommt in diesem Modell genau so wenig vor wie Gott.  Es ist atheistisch-materialistisch.              


In unserer heutigen Zeit herrscht eine große Verwirrung hinsichtlich der Wertbestimmung des einzelnen Menschen, weil alle diese Ansätze nebeneinander existieren und  oftmals auf (nicht selten paradoxe Weise) miteinander vermischt werden. Hier sei eine Randbemerkung zum Humanismus gestattet, der zumindest in der Sphäre des ehemaligen Abendlandes die christliche Anthropologie weitgehend abgelöst hat. Dieser scheint mir beim näheren Hinsehen im Grunde genommen selbst eine Art (Ersatz-) Religion zu sein. Denn er postuliert genau jenes Wechselverhältnis zwischen Sein und Tun, das eigentlich typisch für Religionen ist. Im Humanismus kommt nämlich jedem Menschen von vornherein Wert zu, ohne, dass dadurch der Einzelne von seiner moralischen Verantwortung entbunden wäre. Der Hauptunterschied zur echten Religion besteht darin, dass der Mensch selbst den absoluten Maßstab bildet. Nicht mehr aufgrund seiner Gottebenbildlichkeit, sondern aus einer implizit postulierten Göttlichkeit heraus kommt dem Menschen sein Wert zu. Ebenso gilt die moralische Verantwortung nicht mehr Gott, sondern nur sich selbst und den übrigen Menschen gegenüber. Im Prinzip greift der Humanismus das naturalistische Menschenbild auf, ohne jedoch dessen grundlegende Abwertung des Menschlichen  mitzuvollziehen. Dies erscheint mir durchaus ehrenhaft, wenn auch nicht ganz konsequent. Der so oft vernommene Ausspruch, auch ein Atheist könne ein guter Christ sein hat bekommt so für mich einen schalen Beigeschmack, da dem Atheisten dabei unterstellt wird, er könne etwas werden, das es seiner eigenen Weltanschauung zufolge eigentlich gar nicht geben kann - es sei denn er ist Humanist und damit zumindest Pseudoreligiös. 
Denn das ist der Humanismus: Eine Religion ohne Gott, die also den Menschen zum Gott erklärt.


Wenn der Humanismus den Menschen zum Gott erhebt, der Naturalismus ihn hingegen zum Tier erniedrigt, wo wird also der Mensch als das gesehen, was er ist? Eindeutig in der Religion. Der vielleicht wichtigste Unterschied zwischen den religiösen Anthropologien ist, dass die einen Ansatz 2 von Ansatz 1 ableiten und umgekehrt. Das heißt, sie sind entweder optimistisch oder fatalistisch. Die deterministischen Religionen sagen also: Dieser handelt gut oder schlecht, weil er ein guter oder schlechter Mensch ist. Die optimistischen hingegen: Dieser ist gut oder schlecht, weil er gut oder schlecht handelt. Denn das ist ja die große Frage, was zuerst gewesen ist, die moralische Qualität oder die Tat? Könnte es nun aber sein, dass beides seine Gültigkeit hat, ohne den jeweils anderen Teil zu  entwerten, dass also mein Wert schon feststeht, jedoch durch mein Verhalten sich nachträglich abändern lässt? Der katholische Glaube, so wie ich ihn verstehe, ist weder eindeutig fatalistisch noch optimistisch. Die große Schwierigkeit bei der Ermittlung seines eigentlichen Charakters besteht darin, dass er heute über weite Strecken eng
 mit dem Humanismus verquickt ist und dessen streng optimistisches Menschenbild übernommen hat. Denn im Humanismus verhält es sich ja so, dass der Mensch schon von vornherein als gut angesehen wird, jedoch mit dem Potential, noch viel besser werden zu können. Das Schlechte kommt eigentlich nur noch inform einer seltsamen Anomalie vor, für die keine rechte Erklärung Zur Hand ist, weshalb dem Humanismus die Tendenz innewohnt, das Böse an sich zu relativieren, oder es aber mit den beiden entgegen gesetzten deterministischen Anthropologien zu identifizieren, der fatalistischen Religion und dem darwinistischen Naturalismus. Diese Sichtweisen wären demnach nicht böse, weil es so etwas wie das von vornherein böse gäbe, sondern weil sie Unwahrheiten konstruierten, durch die das Böse erst in die Welt käme.

Vor der Aufklärung besaß das Christentum, eine starke Neigung zum Fatalismus. Dafür ist es seitdem heftig angegriffen worden, bis es sich unter dem öffentlichen Druck schließlich zum Optimismus bekehrt hat. Schön und  gut, dass das Christentum sich bekehrt hat. Doch hat es dabei sein eigentliches Wesen nicht verleugnet? Ist es damit nicht zu einer bloßen Spielart des Humanismus verkommen, in der Gott ein in erster Linie dekorativer Zweck zukommt? Kein Wunder, wenn sich ungläubige Humanisten und moderne Katholiken heute so gut vertragen und in den öffentlichen Debatten fast immer auf derselben Seite stehen (Stichwörter: Umweltschutz, soziale Frage, Zuwanderung). Wie man nämlich zu all diesen Fragen steht, hängt primär davon ab, ob man nach moderner Lesart ein guter (optimistischer) oder böser (fatalistischer) Mensch ist.

Die Verwirrung ist also groß wie nie zuvor. Das Etikett "katholisch" war noch nie so irreführend wie heute. Gibt es nicht vielleicht einen "wahren" Katholizismus, der in den Stürmen der Zeit verloren gegangen ist? Und wenn es ihn gibt, ist er dann nicht fatalistisch, wie er es im Mittelalter gewesen? Oder doch noch einmal ganz anders? Wenn die "wahre" Religion die beiden Extreme der Vergöttlichung und Vertierung des Menschen vermeidet, findet sie vielleicht auch einen Mittelweg zwischen Fatalismus und Optimismus?

Ich behaupte: Wenn der Humanismus ohne Gott auskommt, dann braucht Gott auch den Humanismus nicht. Was  ich damit sagen will: Die wahre Religion muss gar nicht (ja darf vielleicht nicht einmal) humanistisch sein. 
Wir sind es gewohnt, gerade auch in der Religion, alles immer anthropozentrisch zu sehen. Also steht auch in der modernen Religiösen Praxis stets der Mensch im Mittelpunkt, mit seinen Anliegen, Sorgen, Wünschen, etc...
Wie wäre es stattdessen einmal mit ein bisschen mehr Demut? Vielleicht sollten wir endlich aufhören damit, 
Gott ständig mit unseren Wünschen zu belästigen, oder im Gegenzug Verständnis bei Ihm vorauszusetzen 
für uns und unsere Probleme. Vielleicht sollte man Religion einmal von Grund auf neu aufziehen. Die Kirche nicht mehr als Dienstleister für soziale und seelische Nöte, sondern stattdessen als organisierte Verehrung des Allmächtigen, Gewaltigen, Unerreichbaren, Unerklärbaren, Angst und Zittern verursachenden Allvaters. In der Rolle von nichtswürdigen Sklaven sollten wir in gebeugter Haltung an den Altar herantreten, nicht weil wir etwas davon hätten (und das tun wir vielleicht auch nicht) sondern weil es unsere Pflicht wäre, vor dem niederzuknien, was uns bei weitem übersteigt. Die Gemeinschaft dürfte dabei auch keine große Rolle mehr spielen, denn was bin 
ich, was sind die anderen denn, die mit mir anbeten? Bloße Menschen, nichtswürdige, erbärmliche Gestalten, schwach und unbedeutend angesichts der furchterregenden Größe Gottes. Und doch herrschte hier auf einmal wieder die große Gleichheit, die sich die Modernisten so sehr wünschen. Hier wären alle gleich unbedeutend vor  Gott. In dieser neuen (alten) Religion würde auch keiner sich mehr anmaßen, ein "guter" Mensch sein oder besser gesagt werden zu wollen. Hier gälte, was Christus formuliert hat: "Niemand ist gut, außer Gott!". 

Und die Ethik? Würde sie hierdurch nicht außer Kraft gesetzt? Keineswegs. Nur wäre sie ganz im fatalistischen Sinne nicht mehr Richtschnur dafür, wie wir zu leben hätten, sondern das Instrument an dem sich die Schlechtig- oder Gutheit des Einzelnen ablesen ließe. Wer gut, oder schlecht ist, das hätte Gott von vornherein bestimmt. Und an den Taten ließen sich die Auserwählten von den Verdammten unterscheiden. Wäre eine solche Religion nicht grausam, zynisch, menschenverachtend? Zweifellos. Doch wer hat gesagt, dass Religion menschenfreundlich sein muss? Jesus Christus gilt uns als Sinnbild des menschenfreundlichen Gottes. Und zu bestreiten, dass Er das ist, wäre Blasphemie. Und doch: Ist Jesus Humanist? Wenn Gott uns in Ihm ein freundliches Gesicht zeigt, heißt das, dass er nur freundlich wäre? Hier liegt, glaube ich, der Hauptirrtum, den das modernistische Christentum in die Welt gesetzt hat. Ja, Jesus liebt uns. Und ja, Gott ist barmherzig. Aber es stimmt schlicht und ergreifend nicht, dass sich Gottes Wesen in diesen Eigenschaften erschöpfen würde. Gott ist viel mehr, viel größer, viel widersprüchlicher. Ein Theologe hat Gott einmal den "ganz Anderen" genannt. Wenn es stimmt, dass Gott nur gut ist, dann dürfen wir nicht  vergessen, dass Gott alleine in absoluter Souveränität festlegt, was gut ist. Er muss es eigentlich überhaupt nicht festlegen, so als würde Er ein Gesetz erlassen, an das Er sich dann zu halten hätte. Die wohl treffendste, finale Definition von "gut" lautet nämlich: das was Gott will. Und hier bitte ich aufzumerken! Denn das bedeutet eine 
ganze Menge. Wenn nämlich (Achtung Fatalismus) nur das geschieht, was Gott will und etwas deshalb gut ist, weil
 Gott es will, dann ist es auch gut, dass ich morgen einen Schlaganfall erleide, dass Menschen hungern, leiden und 
obdachlos sind. Es gäbe schlichtweg gar nichts Böses und sogar der Teufel wäre gut, weil Gott ja gewollt hätte, dass
es ihn gibt. Das ist offensichtlich Unsinn. Aber wenn Gott allmächtig wäre, müsste es doch so sein? Wenn wir nicht annehmen wollen, dass Gott gleichzeitig gut und böse, oder keines von beidem ist, dann müssen wir davon ausgehen, dass Er nicht allmächtig ist. Genauer: Dass Er auf Seine Allmacht verzichtet. Was tritt nun aber an die Stelle der Allmacht Gottes, wenn Er diese freiwillig ablegt? Zweierlei: Der blinde Zufall und der Wille Seiner Geschöpfe. Wenn es aber Willen außerhalb Gottes gibt, dann wäre der Fatalismus widerlegt. Es sei denn, Gott hätte zwar auf seine Allmacht verzichtet, den Menschen aber trotzdem keine Macht anvertraut, sondern beispielsweise nur dem Teufel. Doch bereits ein oberflächlicher Blick auf das Weltgeschehen genügt, um auch diese Annahme zu  widerlegen. Immer hat es Menschen gegeben, die große Macht besaßen, die Geschicke nach ihrem eigenen Willen zu lenken oder zumindest zu beeinflussen. Geschichten von Bekehrung und Abfall legen machtvoll Zeugnis dafür ab, dass es möglich ist, sich für oder gegen Gott zu entscheiden. 
Doch auch hier ist Widerspruch geboten. Denn dass es erwiesenermaßen Menschen gibt, die einen Willen besitzen, beweist noch lange nicht, dass alle Menschen einen haben. Noch viel problematischer wird es, wenn man nun noch Gott und Teufel ins Spiel bringt, die zwar beide keine absolute Macht über die Menschheit ausüben, aber sehr wohl in der Lage sein könnten, in das Weltgeschehen einzugreifen. Nun besitzen wir theoretisch schon vier Parteien: Gott, der zwar nicht allmächtig (sein will), aber dennoch mächtig ist, den Teufel, für den dasselbe gilt, sowie die Menschen mit einem freien Willen und die Willenlosen. Das Argument, Gott müsse doch jeden mit den gleichen Voraussetzungen ausstatten, weil dies gerecht und Er andernfalls grausam wäre, greift ins Leere, da wir bewiesen haben, dass Gott, falls er gut ist, nicht allmächtig sein kann und damit jegliche Ungerechtigkeit mit dem Verzicht Gottes auf seine Allmacht erklärt werden kann, ohne dass Er deshalb weniger gut wäre. Es wäre also wünschenswert, dass alle Menschen einen Willen besitzen. Aber wünschenswert wäre auch der Weltfrieden, etc.
Also ist es sehr wohl denkbar, dass es Menschen ohne Willen gibt. In jedem Falle steht fest, dass nicht alle den  gleichen Willen besitzen. 

Wenn nun also der Wert eines Menschen aus seinem moralischen Handeln resultiert, da es keinen absoluten Determinismus gibt (wenn alles determiniert wäre, wäre Gott nicht gut und es könnte also auch nichts gutes oder schlechtes geben), das moralische Handeln aber reiner Willensakt ist, dann haben wir unsere Richtschnur für den Wert eines Menschen gefunden: Es ist der Wille. Damit steht auch fest, dass nicht alle Menschen gleich wertvoll sind, da bekanntlich nicht alle gleich willensstark sind. Wenn es aber Menschen geben sollte, die gar keinen freien    Willen besitzen, so wären diese auch nicht wertvoller als Tiere. Nun besitzt ja jedes Tier für sich genomme durchaus einen gewissen unveränderlichen Eigenwert. Und wer seinen Willen zum Schlechten nutzt, erwirbt damitdie zweifelhaft Ehre, seinen Wert noch unter den eines Tieres gesenkt zu haben. Es sind also die Willensschwachen noch nicht am schlimmsten dran.

Der Wille aber ist eine Kraft, die erste und wichtigste Kraft der Seele. Wer einen starken Willen besitzt, der ist stark, ob er auch ein Krüppel wäre. Wenn die Starken wertvoll, die Schwachen aber wertlos sind, dann hätten wir hiermit eine Brücke zum Darwinismus geschlagen, der obwohl von seiner Methodik atheistisch, am Ende mehr herausgefunden hat, als die religiösen Methoden. Die Aussage wäre nicht ganz dieselbe, da stark und schwach hier nicht körperlich, sondern mental definiert sind. Aber interessant ist doch, dass die Moral und die Natur im Grunde  genommen dasselbe Gesetz aufstellen: Sei stark, oder stirb.





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