Dienstag, 29. Dezember 2015

Der Ungläubige

Staunend stand ich vor der Kathedrale, konnte mich an ihrer Schönheit nicht satt sehen. Ich sah ihre mächtigen Pfeiler, ihr unerschütterliches Fundament. Sie war auf Fels gebaut. Ihre Mauern glichen denen einer Festung, doch waren ihre Fenster bunt und dünn, um das Licht besser einzulassen. Märtyrer umrahmten das wuchtige Portal, Märtyrer und Apostel. Ihre strengen Mienen verrieten keine Emotionen, ihr Blick ging in die Ferne. Dies waren keine Menschen mehr, sondern Halbgötter. Über allen thronte die Jungfrau Maria, die schönste aller Frauen, durch ihre unendliche Demut erhaben. Auf ihrem Schoß das Jesuskind, die Welt in der Linken, die Rechte in strenger Segensgebärde erhoben. 
Wenn schon die Fassade solche Pracht besitzt, mich so ehrfürchtig macht, was muss dann erst im Inneren warten, dachte ich. Da sah ich die Stufen, die zum offenen Portal führten. Es waren sehr viele und meine Beine waren verkrüppelt. Verzweifelt blickte ich mich um auf dem Platz, denn es waren viele Menschen da. Kaum einer schien die Kathedrale auch nur zu bemerken. Manche spuckten sogar aus, wenn sie daran vorbei liefen. Andere hatten sich auf den Stufen niedergelassen und aßen und lärmten dort. Ganz selten löste sich einer aus der Menge und bestieg mühelos die Stufen. Jeden der kam fragte ich, wie ich hinein gelangen sollte. "Na hier über die Treppe, so wie ich" bekam ich stets zur Antwort, "wirf einfach deine Krücken weg, denn die sind auf dem Weg nach oben nicht erlaubt. Drinnen wirst du sie nicht mehr benötigen". 
Da drehte ich mich um und ging traurig weg. Noch manches mal führten mich meine Streifzüge vor die Kathedrale.

Donnerstag, 24. Dezember 2015

... und Friede auf Erden

Weihnachten - das letzte große Fest des ehemaligen Abendlandes. Für viele noch heute der unbestrittene Höhepunkt des Jahres. Für manchen Einsamen der schwärzeste Tag des Jahres. In einer Zeit, wo sonst kein noch so uralter Brauch vor dem allgemeinen kulturellen Verfall verschont bleibt, wo noch die ehrwürdigsten Traditionen für nichts geachtet und wegrationalisiert werden, da hält sich dieser eine unter allen Bräuchen am hartnäckigsten. Wohnt etwa dem kitschigen Winter- und Geschenkefest, das der widerwärtige Kapitalismus daraus gemacht hat eine solche Anziehungskraft inne? Oder zehrt nicht selbst die lächerliche Figur des Weihnachtsmannes noch von der Faszination des Christkindes, das er ersetzt hat? Ich glaube, die ungebrochene Popularität eines wenn auch unendlich verfremdeten Weihnachtsfestes erklärt sich daraus, dass es eine Ursehnsucht in den Menschen anspricht. Und dies ist die Sehnsucht nach einer heilen Welt. Doch was dies über den Menschen aussagt hängt nun ganz davon ab, was man unter einer heilen Welt versteht. Wenn ich auch sonst an kaum noch etwas glaube, am allerwenigsten an das Gute im Menschen, dann weigere ich mich doch, ihn an der populären Vorstellung einer heilen Welt zu messen, die nämlich bei genauerem Hinsehen äußerst kümmerlich und geistlos ist. Heile Welt! Woran liegt es nur, dass man dieses Wort eigentlich gar nicht ohne ironischen, ja verächtlichen Unterton gebrauchen kann. Genau den möchte ich hier nämlich vermeiden und es ausnahmsweise einmal ganz ernsthaft gebrauchen. Denn wenn man einmal ernst macht mit dem Wunsch nach einer heilen Welt, kommt vielleicht hinter all der sentimentalen Naivität und den phantasielosen politischen Utopien etwas sehr edles und würdiges zum Vorschein: Der Wunsch nach einer heiligen Welt. Hier gilt es nun erst recht, begriffliche Verwirrungen zu vermeiden, denn wenn schon die heile Welt sehr missverständlich ist, dann umso mehr die heilige. Denn vom Heiligen hat man ja heute im allgemeinen gar keine Vorstellung mehr. Der Begriff schreckt sogar eher ab. Heilig, das klingt nach großer Strenge, Übermenschlichkeit, weltferner Erhabenheit, insgesamt also vor allen Dingen nach Weltfremdheit. Doch gerade das macht das Stichwort von der heiligen Welt so interessant, seine scheinbare Widersprüchlichkeit. Nicht nur kirchenferne Menschen können schwer einen Vereinbarkeit zwischen Heiligkeit und der Welt ausmachen. So verbannen sie das Heilige ins Reich der Phantasie und positionieren sich auf der Seite der Welt. So manchem religiösen Eiferer ergeht es gar nicht anders, nur dass er eben auf der anderen Seite steht und der Welt den Krieg erklärt, anstatt dem Heiligen.
Doch dann meldet sich aus den tiefsten Tiefen des Unterbewussten nun dieses merkwürdige Verlangen nach einer heilen, oder heiligen Welt. Wie kann etwas so paradoxes überhaupt eine Anziehungskraft entfalten? Vielleicht ergibt sich der Widerspruch nur daraus, dass man sowohl von der Welt, als auch vom Heiligen eine völlig falsche Vorstellung hat. Wenn die Welt, so wie wir sie vorfinden schon die ganze Wahrheit wäre, warum sollten wir uns dann noch weiter daran stören, dass sie nicht perfekt ist? Woher nehmen wir überhaupt die Vorstellung von einer perfekten Welt, wenn es so etwas erstens nicht gibt und somit folglich auch niemand jemals die Erfahrung einer solchen Welt gemacht haben kann? Und wenn das Heilige in unversöhnlicher Feindschaft zur Welt steht, warum gibt es die Welt dann überhaupt? Kann etwa Gott etwas in sich schlechtes hervorbringen? Heile Welt - Heilige Welt... Ein kosmischer Friede. Friede nicht mehr nur als Abwesenheit von Krieg, Gewalt und Konflikten, sondern als Friede zwischen der Welt und Gott! Was für eine süße Vorstellung! Wer Gott hasst und nur die Welt oder die Menschen oder sonst etwas liebt, wird immer darunter zu leiden haben, dass genau die Abwesenheit dieses Gottes das ist, was diese Welt verdirbt. Selbst wenn es gelänge die humanistische Utopie von der falschen heilen Welt zu verwirklichen: Eine Weltregierung, Frieden, Wohlstand, Demokratie, Kranken- und Sozialversicherung und Menschenrechte für alle. Die Welt wäre nicht wirklich ein besserer Ort. Denn all diese gut gemeinten Bemühungen um ein besseres Zusammenleben sind doch nur ein Herumdoktern an Symptomen einer unheilbaren Krankheit. Die Menschen werden dadurch nicht wirklich besser, dass man ihnen beibringt, sich auf diese und jene äußerlich korrekte Art zu verhalten. In den politischen Visionen von einer besseren Welt kommt die Seele nicht vor. Das macht sie allesamt unbrauchbar. Die Wurzel allen Übels, das Böse, das in den Seelen nistet, ist unausrottbar. Alles schlechte was passiert hat ein und dieselbe Ursache: die Feindschaft zwischen Welt und Gott. Doch das Spiel lässt sich auch anders herum treiben. Den religiösen Fanatiker, ein Menschentypus, der zumindest in unseren Breiten selten geworden ist, widert die Vorstellung einer heilen Welt an, weil er die Welt hasst. Gutes kann es nach seiner Auffassung überhaupt nur im immateriellen Reich des Geistes geben. Der Weg zu Gott gleicht für ihn einem Kampf gegen die Welt und die eigene irdische Natur. Solchen Menschen erscheint dann auch dasjenige als Sünde, was die Welt an Schönem zu bieten hat, denn: nur an geistigen Gütern darf der Tugendhafte sich erfreuen.
Ich glaube dass beide, der atheistische Humanist und der religiöse Fanatiker auf ihre Weise entsetzlich leiden müssen, denn ihre Weltanschauungen sind wider die Natur. Sie ignorieren den Umstand, dass der Mensch als Brücke zwischen Welt und Gott notwendig auf beides angewiesen ist zu seinem Glück. Alle anderen unter den unglücklichen Menschen (das sind die meisten) liegen irgendwo zwischen diesen beiden Extremen. Allen gemein ist das Missverhältnis, in dem in ihrem Leben weltliche und geistliche Güter zueinander stehen. Sie alle sind damit Opfer der Feindschaft zwischen Welt und Gott. 
Der größte Traum der je geträumt worden ist, ist nun aber der von der heiligen Welt. Eine Welt im Frieden mit Gott. Eine Welt die gut ist, weil sie so ist, wie Gott sie gewollt hat. Jede alltägliche Handlung gesättigt mit Sinn, jedes Wort mit Bedeutung - und sei es nur ein Gruß. Die Seele wohnt gerne in ihrem Körper, trachtet nicht länger danach ihn zu verlassen. Ebenso ist der Körper ein williges Gefäß der Seele, das nicht länger danach trachtet, sie zu unterjochen. Das wäre das Ende aller Kämpfe. Denn noch bevor der erste Schuss gefallen ist und auch da wo gar keine Schüsse fallen herrscht unentwegt Krieg. Krieg in jedem Einzelnen, zwischen seiner irdischen und seiner geistigen Natur. Zwischen Körper und Seele und Seele und Geist und Geist und Körper. Wir sind innerlich zerrissene Geschöpfe, uneins mit uns selbst. Alles was in der Welt dann so schief läuft ist doch nur äußerliche Folge der Schlachten, die im Herzen jedes Einzelnen toben.
Das ist mein Weihnachtswunsch: Der Weltfriede. Nicht ein blöder politischer Friede, der auch dadurch herzustellen wäre, dass man sämtliche Geschöpfe durch kastrierte Stallhasen ersetzte. Sondern Friede zwischen den Menschen und Gott.

Dienstag, 15. Dezember 2015

Weltverachtung

"Jeder Mensch hat etwas, das ihn antreibt" - ist das nur ein Werbeslogan der Raiffeisenbank, oder stimmt das wirklich?
Wohl mag es etwas geben, das die meisten antreibt, sonst würden sie ja wie ich morgens einfach im Bett liegen bleiben. Doch haben sie es auch? Oder ist es nicht vielmehr so, dass sie angetrieben werden? Äußere Zwänge denen wir unterliegen gibt es ja genug. Allen voran steht die Pflicht. Ich arbeite, ich lerne, ich kümmere mich um dieses und jenes, einfach weil ich muss. Denn darin dürften sich wohl alle einig sein, dass, wer sich um nichts kümmert ein schlechter Mensch ist. Doch genügt das schon? Kann man aus dem bloßen Müssen jeden Tag die Kraft beziehen, die warme Behaglichkeit des Bettes gegen Stress, Hektik, Langeweile und Verdruß einzutauschen? Man müsste sich wohl zumindest etwas davon versprechen. Aber was, bitte schön? Ich arbeite, damit ich Geld verdiene. Von dem Geld leiste ich mir eine Wohnung und Essen. Denn ohne einen festen Wohnsitz keine Arbeit. Dass man sich in einer Wohnung auch aufhalten und dort seine freie Zeit verbringen kann, zählt nicht, denn um sie sich leisten zu können muss man ja arbeiten, sodass einem gerade noch genügend freie Zeit übrig bleibt, um sich von der Arbeit zu erholen. Das wenige was an Freizeit also übrig bleibt, dient im Grunde genommen allein dem Zwecke der Aufrechterhaltung der Arbeitskraft. Wenn ich beispielsweise studiere, sieht es noch ärger aus. Dann habe ich eigentlich gar keine freie Zeit, auch zuhause nicht, denn jede Minute die ich nicht am Campus verbringe ist zum Lernen da - und zum Essen und Schlafen, was aber auch nur wiederum dem Zwecke dient, physisch zum Lernen in der Lage zu bleiben. Manche arbeiten auch, damit sie Urlaub machen können. Auch dies ist im Grunde genommen kaum mehr als ein dürftiges Trostpflaster, das in keinem Verhältnis zu dem Ärger steht, dem man in der restlichen Zeit nur um dieses Trostpflasters willen ausgesetzt ist. Was sind schon die 2-3 Wochen im Jahr? Lohnt es sich dafür etwa zu leben? Letzten Endes ist auch der Urlaub dem höchsten Zweck, der Arbeit nämlich, untergeordnet. Man macht Urlaub, damit man nicht in der Psychiatrie landet. Wobei es ja tatsächlich Leute geben soll, die ihren Urlaub in der Psychiatrie verbringen. D.h. sie arbeiten bis zum Nervenzusammenbruch, gehen ein paar Wochen in die Klapse, arbeiten wieder bis zum Umfallen, und so weiter. Bliebe noch das Wochenende. Doch das ist auch gefährdet und schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr. Immer mehr Menschen müssen auch am Wochenende arbeiten. Pause wird dann vielleicht zwischendurch am Mittwoch gemacht. Samstags haben sowieso nur Schüler und Studenten und vielleicht noch Beamte frei. Die Schüler sind noch fein raus, weil man heutzutage auch ohne Lernen sein Abi bekommt, aber der Student, der am Wochenende feiert und seinen Rausch ausschläft ist auch nur noch ein überholtes Klischee. Wer sein Studium so gestaltet wird nämlich nicht lange Student bleiben. Stattdessen gilt auch hier: Freizeit ist Lernzeit. Den Umstand dass Freizeit heute eigentlich nur noch der hat, der seinen Pflichten nicht nachkommt versucht man dann durch das Modewort "Zeitmanagement" zu kaschieren. Als ob die Woche auf einmal 8 Tage hätte, wenn man sich gut organisiert. Wenn also die Freizeit der Sinn des Arbeitens wäre, dann müsste man zugeben, dass es sich nicht wirklich lohnt, zu arbeiten, denn dafür springt entschieden zu wenig Freizeit raus.
Also muss es um das gehen, was man in seiner wenigen freien Zeit macht. Der Spaß muss ja beträchtlich sein, wenn er in ein- zwei Tagen das wieder herein holen will, was man in der restlichen Woche verpasst hat. Aber was soll man am Wochenende schon großes anfangen? Und kann Spaß denn sinnstiftend wirken? In den meisten Fällen läuft es ja doch darauf hinaus, dass man vor dem Fernseher abhängt. Vielleicht geht man auch mal ins Kino, oder in ein Lokal. Die sportlicheren betätigen sich körperlich. Ganz hoher Stellenwert kommt natürlich noch der Pflege von Beziehungen zu. Man verbringt Zeit mit dem Partner, von dem selbst vereiratete unter der Woche sowieso nichts haben. Aber was macht man dann mit dem Partner? Dasselbe, was man auch als Single tun würde: Ins Kino gehen, essen, spazieren... Auf Dauer auch ziemlich langweilig. Ich weiß nicht genau, was sich normale Menschen von einer Partnerschaft versprechen. Aber ist es nicht irgendwie so, dass einem dabei so eine Art gemeinsames Abenteuer vorschwebt? Ist Liebe nicht etwas ganz besonderes, außergewöhnliches, aufregendes, gefährliches, prickelndes, extrem stimulierendes? Wie viel von  diesen Vorstellungen lässt sich schon in den drögen Alltag hinein retten. Vielleicht ist der Alltag ein  größerer Feind jeder Beziehung, als es die böseste Schwiegermutter je sein könnte. Dieses ewig gleichförmige, gewöhnliche, unspektakuläre, schlechthin zermürbende der ständigen Wiederholung des immer Gleichen wäre ja an sich schon schlimm genug. Doch man wird dabei ja auch nicht jünger! Man stumpft ab, nimmt das, was einen am anderen anfangs noch fasziniert haben mag irgendwann gleichgültig hin. Und eines Tages hat man sich vielleicht nichts mehr zu sagen, weil selbst, wenn man viel miteinander geredet hat irgendwann alles gesagt ist. Selbst der Intime Teil des Ehelebens verliert mit den Jahren immer weiter seinen Reiz, ja verbietet sich sogar irgendwann von selbst, wenn man seine Würde bewahren möchte. Die Menschen unserer Zeit versuchen diesen natürlichen Vorgängen durch Polygamie Einhalt zu gebieten. Sie wechseln ständig die Partner, bilden "Patchwork Familien", probieren perverse Rollenspiele und dergleichen. Und sie merken gar nicht, wie lächerlich sie sich dabei machen. Was gibt es armseligeres, als alte Leute, die versuchen, ihre Pubertät durch Motorradfahren und den Besuch von Ü60 Parties bis ins Greisenalter hinein auszudehnen, anstatt sich einfach damit abzufinden, dass sie nun einmal alt sind und die Zeit der großen Abenteuer damit beendet.
Bei all dem, was ich bis hierhin beschrieben habe: Wo scheint dabei denn bitte der Sinn durch? Natürlich habe ich absichtlich das eigentliche ausgelassen, weil es in der vulgären Auffassung vom Leben nämlich gar nicht vorkommt. Wir "leben das Leben" heißt es. Wir planen und organisieren den Stumpfsinn und verwenden all unsere Kraft darauf. Selbst der Verfall wird ordentlich durchgeplant: Abiturienten machen sich schon Gedanken über ihre Rente. Junge Mädchen wissen genau, wie ihr Leben ablaufen soll. So und so lang studieren, dann so und so lang arbeiten, mit 30 Mr. Perfect heiraten und mit dem zusammen alt werden - oder auch nicht, aber dann läuft einem bestimmt noch ein zweiter und ein dritter Mr. Perfect über den Weg. Und wenn man dann in Rente gegangen ist, wird ständig verreist und ganz bestimmt nichts unjugendliches gemacht, denn man ist ja so alt wie man sich fühlt. Sport und gesunde Ernährung sind der Gottesdienst dieses Kultes des Gewöhnlichen. Perfektionismus in allen Lebensbereichen: Das größte Auto, das schönste Haus, der tollste Job, die coolsten Freunde und die harmonischste Ehe. Doch wenn man einmal fragt, wozu das ganze denn            
gut sein soll? Verlegenheit. Meistens läuft es darauf hinaus, dass der Sinn eben in den Lebensvollzügen selbst liegt. Aber wenn das Leben schon in sich sinnvoll ist, warum muss es dann perfekt sein? Hat dann nicht auch ein armseliges Lotterleben seinen Sinn? Und die für mich wichtigste Frage: Lohnt sich der Aufwand denn? Rechnet man sich denn vorher einmal aus, wie viel  Kraft es kostet, all das zu erreichen, wovon jeder träumt? Reißen wir uns nicht alle ein Bein aus um alles mögliche zu erreichen, was sich im Nachhinein doch als sinn- und wertlos heraus stellt?
Was ich bei dem gesamten Kult um das Leben vermisse ist die Transzendenz. Wo ist denn in meinem ach so wichtigen Leben, das, was über sich hinaus weist?
Doch man darf den Menschen auch nicht Unrecht tun. Für viele sind Familie und Freunde das Wichtigste im Leben. Da will man zunächst nicht widersprechen. Denn Familie und Freunde haben etwas mit Liebe zu tun. Und Liebe mag wohl der Sinn des Lebens sein. Doch wo kommt bitte die Liebe im Alltag vor? Ist der Alltag nicht der schlimmste Feind der Liebe, der sie dadurch entweiht, dass er sie alltäglich macht?
Egal wie ich es auch anfange, am Ende scheinen mir Sinn und Alltag unvereinbar. Denn das was wirklich wertvoll ist: Liebe, Wahrheit, Schönheit hat im Alltag keinen Platz. Dort regiert nämlich der bloße Zweck, der Nutzen, letztlich der Zwang. Wenn aber das Leben mehr oder weniger hauptsächlich aus alltäglichen Zwängen besteht, die die Wahrheit, die Liebe und die Schönheit daraus  verbannen, dann hat das Leben im großen und ganzen keinen eigentlichen Sinn. Zwar kommt Sinn darin vor, aber eigentlich als etwas fremdes, dem Leben nicht direkt zugehöriges. Die Erfahrung von Sinn und Erfüllung kann also nur inform einer Entrückung vorkommen, die einen aus dem alltäglichen Zusammenhang hinaus reißt. Das ist die Ekstase, der heilige Rausch, Trunkenheit nicht des Leibes, sondern des Geistes! Hassen will ich also diese Welt aus Herzensgrunde und nichts anderes erstreben, als das was außer ihr ist!

Dienstag, 8. Dezember 2015

Von Freiheit und Hoffnung

Wenn es um die höchsten Güter geht, ist Freiheit immer einer der ganz heißen Kandidaten. Wer möche schon nicht frei sein? Auch und gerade im christlichen Glauben ist viel von der Freiheit die Rede. Christus predigt uns die Freiheit der Kinder Gottes, er ist gekommen, um den Gefangenen die Freiheit zu schenken. Sein Titel ist Erlöser (er löst von etwas). Nicht zuletzt macht die Theologie, genauer die christliche Ethik den freien Willen zur Bedingung unserer Erlösung, denn wenn diese nur dem Glaubenden zuteil werden kann, der Glaube aber in einer Entscheidung für Gott besteht, setzt sie notwendig eine Freiheit des menschlichen Willens voraus. Gerne wird diese grundlegende Willensfreiheit auch als Erklärung für Sünde und Leid heran gezogen, die als negative Konsequenzen derselben gedeutet werden, die Gott inkauf nehmen muss, wenn er von uns geliebt zu werden wünscht. Denn Liebe kann nur in Freiheit geschehen. Auch wird der freie Wille gerne als ein Hauptmerkmal angeführt, welches den Menschen im Unterschied zu den Tieren überhaupt erst ausmache. So gerne ich mich dieser christlichen Anthropologie auch anschliessen würde, die doch so edel erscheint, so schwer fällt es mir, ihre Aussagen mit meinen Erfahrungen und Beobachtungen in Einklang zu bringen.
Denn was bedeutet die Freiheit denn, die man der ganzen Menschheit hier so grosszügig unterstellt? Unbedingte Freiheit (alles tun zu können, was man will) kann es ja schon einmal nicht sein. Denn selbst den freiesten der Freien, den Reichen, sind zumindest im physikalischen Bereich doch sehr handfeste Grenzen gesetzt. Sie sind im wesentlichen nicht freier als alle anderen Menschen, nur verschiebt der Reichtum die Grenzen ihres Vermögens in einer Weise, dass sie sich recht komfortabel darin bewegen können. Genau wie wir Normalbürger sind sie eingepfercht, nur dass der Zaun so weit weg steht, dass für sie eine Illusion von Freiheit entsteht. Wir reden also von einer bedingten Freiheit. Wenn Freiheit aber bedingt ist, also relativ, besteht dann nicht die Möglichkeit, dass sie in der Praxis so weit reduziert werden kann, dass sie sich effektiv nicht mehr auswirkt, obgleich sie streng genommen noch vorhanden sein kann? 
Im christlichen Kontext, wie auch in der klassischen Ethik wird der Begriff Freiheit vor allem in Bezug auf das moralische Leben gebraucht. Frei ist demnach, wer sich gegen das von ihm als falsch erkannte und für das richtige, das Gute entscheiden kann. Das kann freilich auch ein Armer. Der kann sich im Zweifelsfall aufgrund seiner Rechtschaffenheit auch dagegen entscheiden, Essen zu klauen und diesem in sich schlechten Akt den Hungertod des Gerechten vorziehen. Worauf ich mit diesem reichlich geschmacklosen Beispiel hinaus wollte ist, dass im Leben Situationen eintreten können, die einen doch zumindest zum Unrecht nötigen, sodass es schließlich nicht mehr eine Frage des guten Willens, sondern der bloßen Selbstbeherrschung wird, ob man das Gute tut oder nicht. Aber gehen wir noch einen Schritt weiter. Wir stellen uns folgendes Szenario vor: Ein rechtmäßig Verlobter und an sich nicht völlig unanständiger Mann zeugt im Suff mit einer Zufallsbekanntschaft einen Bastard. Kann ja mal vorkommen. Nehmen wir einmal an, seine Verlobte wäre bereit, ihm zu vergeben und die Zufallsbekanntschaft macht eine Abtreibung von seiner Entscheidung abhängig, sie wäre überdies bereit, den Mann zu heiraten. Was soll er jetzt tun, um sich nicht noch weiter zu versündigen? Eine Abtreibung scheidet von vornherein aus, weil sie von allen denkbaren Alternativen das schlimmste Übel in sich birge. Verbleiben zwei Wege. Nämlich muss er nun entweder die Fremde ehelichen, um dem Sohn die Schande eines Dasein als Bastard zu ersparen und außerdem seiner Verantwortung als Vater gerecht zu werden, wobei er sich freilich an seiner Verlobten versündigen und außerdem das Sakrament der Ehe profanieren würde, da es keine Heirat aus Liebe wäre. Steht er aber zu seiner Verlobten, ruiniert er das Leben seines Sohnes da dieser entweder ohne Vater verbliebe, oder, wenn er ihn zu sich nähme nie seine leibliche Mutter hätte. Wir haben es also mit einem Dilemma zu tun, welche ja durchaus nicht nur in dem diffusen Gedankenlabyrinth eines irren abgebrochenen Theologen vorkommen, sondern eben auch in der Wirklichkeit. Die blosse Möglichkeit oder auch nur das ausnahmsweise Vorkommen eines moralischen Dilemmas verändert aber alles. Kompromisslösungen wie etwa eine Güterabwägung zwischen den Interessen der Beteiligten und der Grösse des jeweils entstehenden Schadens bringen hier auch nicht weiter. Solche Erwägungen sind nur Ausdruck des ohnmächtigen guten Willens. Ohnmächtig eben deshalb, weil sie sich vielleicht auf eine gute Absicht gründen mögen, ohne aber einen eindeutig guten Ausgang der Sache herbeiführen zu können. Nun hört man allenthalben, es käme in Fragen der Moral auch nur auf den guten Willen an. Gut wäre demnach nicht nur wer gutes tut, sondern auch wer das Gute bloß beabsichtigt, ohne es auch erreichen zu können. Doch was heißt das eigentlich: Etwas beabsichtigen? Liegt hierin etwa die ominöse Freiheit des Willens? Ist der Wille noch des Unfähigsten wirklich immer frei darin, sich für das Gute zu entscheiden, es also zu beabsichtigen? Dass Situationen auftreten können, in denen es unmöglich ist, das schlechthin richtige zu tun, haben wir bereits gezeigt. Was aber, wenn so eine Situation nicht nur einen Einzelfall, sondern das ganze Leben eines Menschen bedingen sollte. Dies könnte vielleicht dann der Fall sein, wenn die Ursachen seines Dilemmas nicht in veränderlichen äußeren Umständen, sondern in ihm selbst lägen. Die Ohnmächtigkeit eines Willens kann nämlich neben höherer Gewalt auch aus der Schwäche desselben resultieren. Wohl möchte ich vom Alkohol loskommen. Ich habe mich also gegen die Sucht entschieden. Doch was bringts, wenn die Sucht stärker ist als der Wille? Es ist eine durchaus bedenkenswerte Frage, ob man irgend einen Süchtigen dafür verantwortlich machen kann, wenn er süchtig bleibt. Falls ja, hieße das nichts anderes als ihn für die Schwäche seines Willens zu verurteilen. Denn nichts anderes ist Sucht: Schwäche des Willens im Hinblick auf eine bestimmtes Stimulans. Die allermeisten Süchtigen wären gerne clean, haben sich also in ihrem inneren gegen die Sucht entschieden. Macht sie das schon gerecht im Hinblick auf ihre Sucht? Ich glaube kaum. Sie sind in einem moralischen Übel gefangen und erleben sich selbst als unfähig, diesem Übel wirkungsvoll zu entsagen. Doch es wird noch schlimmer. Genau denjenigen Umstand, der sie in dem unmoralischen Zustand gefangen hält, würden manche ihnen zum Vorwurf machen - und zwar zurecht. Nämlich dass sie zwar clean werden wollen, aber eben nicht genug, also nicht richtig wollen. Wenn einer es sich in den Kopf gesetzt hat (oder es vielleicht von anderen in den Kopf gesetzt bekommen hat), ohne technische Hilfsmittel zu levitieren, mittels reiner Willens- oder Gedankenkraft (soll es ja übrigens wirklich geben), dabei aber gleichzeitig nicht abergläubisch ist, dies also nicht tut, weil er Geschichten  von irgendwelchen Fakiren oder Telepathen gehört hat, die er nachahmen wollte, sondern vielmehr in der Überzeugung, etwas zu versuchen, was noch kein Mensch vor ihm geschafft hat, wie wird es ihm wohl ergehen. Abhängig von seiner Geduld wird er früher oder später ermüden und sehr frustriert sein, bis er eines Tages zu der Überzeugung kommt, dass er es nicht kann. Da er aber nicht aus Aberglauben dieses Unterfangen auf sich nahm, sondern aus einer ungebrochenen Überzeugung heraus, dass der Wille alles vermag, wird er daraus nicht schliessen, dass es unmöglich ist, durch Willenskraft zu levitieren, sondern nur, dass sein Wille dafür nicht ausreicht. Die Erfahrung und die daraus resultierende Verbitterung tragen ihr Übriges dazu bei, diese Überzeugung in ihm zu verfestigen. Nach zehn oder zwanzig Jahren erfolgloser Levitationsversuche wird ihm die Insuffizienz seiner eigenen Willenskraft als so unumstößlich erwiesene Tatsache gelten, dass er sie wie einen (negativen) Glaubenssatz in seinem Herzen tragen wird. Der gescheiterte Fakir hat aber nun Freunde, die fest davon überzeugt sind, dass er des Schwebens fähig ist. Über all die vielen Jahre hinweg haben sie ihn angetrieben, es nur weiter zu versuchen, irgendwann müsse es klappen. Mit jedem weiteren Misserfolg sank sein Vertrauen in die Zusicherung der Freunde, er könne es doch, sodass er es schließlich nur noch aus reiner Loyalität weiter versuchte. Letztlich also aus gutem Willen. Nun mag er zwar noch den guten Willen besitzen, den Glauben seiner Freunde an ihn durch weitere Anstrengungen zufrieden zu stellen. Wie aber steht es mit seinem Guten Willen im Hinblick auf das Schweben selbst? Als er noch überzeugt gewesen war, dazu imstande zu sein, hatte er ihn wirklich. Doch jetzt, wo er durch jahrelanges auf der Stelle stehen vollständig entmutigt und desillusioniert ist, will er es im Grunde genommen gar nicht mehr. Nicht weil er es nicht für wünschenswert hielte, oder weil die Ermutigungen seiner Freunde ihn kalt ließen. Sondern einfach nur noch deshalb weil man etwas gar nicht ehrlich wollen kann, von dem man annimmt, dass man es niemals erreichen wird. Seine weiteren Schwebeversuche sind nur noch Ausdruck guten Willens, letztlich bloße Geste. Doch eben dieser demonstrative gute Wille ist im Kern nicht mehr ehrlich. Am Anfang hatte er sich entschieden, zu schweben, weil das Schweben ihm eine reale Option zu sein erschienen war. Jetzt, da er schmerzlich die unzureichende Stärke seines Willens erfahren hat, sich aber anhand der bereits geleisteten durchaus enormen Willensanstrengung ein etwaiges Bild von dem machen zu können glaubt, was ihm noch fehlt und daher die Hoffnungslosigkeit seines Unterfangens eingesehen hat, glaubt er nicht mehr wirklich an sich. Er tut nur noch so, als ob. Und eben darin liegt das Wesen des guten Willens im Unterschied zum wirklich freien: So zu tun, als ob. Man kann sich nicht für etwas entscheiden, das einem zu tun unmöglich erscheint. Die Freiheit des Willens besteht in der Minimaldefinition also darin, dass man immer so tun kann, als ob. Und das ist unehrlich. Wieder ein moralisches Dilemma. Wessen Wille nicht ausreichend ist, um Gutes zu bewirken, für den besteht noch die vornehmste Möglichkeit moralischen Handelns in der Unehrlichkeit. Das allen Menschen gemeinsame Mindestmaß an Freiheit besteht also in der Möglichkeit, gegen die eigene Überzeugung zu handeln zu versuchen, besser gesagt so zu tun, als ob man es versucht (denn um es wirklich zu versuchen müsste man ja daran glauben können, dass es möglich ist - und glauben kann schon wieder nicht jeder). Ein Verfechter des freien Willens würde mir nun entgegnen, der Glaube sei wie alles andere auch eine Frage des guten Willens, es bliebe also immer die Möglichkeit, es ohne Verstellung weiter zu versuchen. Doch was, wenn das Glauben gerade die Tätigkeit ist, an der sich der Willensschwache die Zähne ausbeißt? Dann bleibt ihm wirklich nur die Verstellung und es zeigt sich gleichzeitig, dass das Unvermögen zu Glauben die größtmögliche Unfreiheit erzeugt. 
Es sei denn, ja es sei denn, es gäbe eine dritte, bisher völlig unberücksichtigte Möglichkeit, nämlich die dass der Glaube etwas ist, das gar nicht durch Willensanstrengung erworben werden muss. Vielleicht ist der Glaube an das Übernatürliche selbst etwas übernatürliches. Am Ende ist gar die Frage, wodurch der Glaube bei einem Menschen letztlich zustande kommt gar nicht beantwortbar, weil sich ein Mysterium dahinter verbirgt? Dann, und nur dann gibt es Hoffnung für alle, auch für die Schwächsten. Wie begründet und vernünftig diese Hoffnung dann wäre, ist wieder eine andere Frage. Aber vielleicht muss Hoffnung gar nicht vernünftig sein?

Freitag, 4. Dezember 2015

Mittwoch, 2. Dezember 2015

Provokation des Tages

Die "Nazis" haben in ihrer Zeit den Geist in die Politik hinein getragen. Dass dabei (auch) ein Geist des Bösen entfesselt worden ist, liegt auf der Hand. Fakt ist, dass unsere Zeit der damaligen moralisch nicht überlegen ist. Sie ist nur harmloser, weil vollkommen geistlos.