Dienstag, 15. Dezember 2015

Weltverachtung

"Jeder Mensch hat etwas, das ihn antreibt" - ist das nur ein Werbeslogan der Raiffeisenbank, oder stimmt das wirklich?
Wohl mag es etwas geben, das die meisten antreibt, sonst würden sie ja wie ich morgens einfach im Bett liegen bleiben. Doch haben sie es auch? Oder ist es nicht vielmehr so, dass sie angetrieben werden? Äußere Zwänge denen wir unterliegen gibt es ja genug. Allen voran steht die Pflicht. Ich arbeite, ich lerne, ich kümmere mich um dieses und jenes, einfach weil ich muss. Denn darin dürften sich wohl alle einig sein, dass, wer sich um nichts kümmert ein schlechter Mensch ist. Doch genügt das schon? Kann man aus dem bloßen Müssen jeden Tag die Kraft beziehen, die warme Behaglichkeit des Bettes gegen Stress, Hektik, Langeweile und Verdruß einzutauschen? Man müsste sich wohl zumindest etwas davon versprechen. Aber was, bitte schön? Ich arbeite, damit ich Geld verdiene. Von dem Geld leiste ich mir eine Wohnung und Essen. Denn ohne einen festen Wohnsitz keine Arbeit. Dass man sich in einer Wohnung auch aufhalten und dort seine freie Zeit verbringen kann, zählt nicht, denn um sie sich leisten zu können muss man ja arbeiten, sodass einem gerade noch genügend freie Zeit übrig bleibt, um sich von der Arbeit zu erholen. Das wenige was an Freizeit also übrig bleibt, dient im Grunde genommen allein dem Zwecke der Aufrechterhaltung der Arbeitskraft. Wenn ich beispielsweise studiere, sieht es noch ärger aus. Dann habe ich eigentlich gar keine freie Zeit, auch zuhause nicht, denn jede Minute die ich nicht am Campus verbringe ist zum Lernen da - und zum Essen und Schlafen, was aber auch nur wiederum dem Zwecke dient, physisch zum Lernen in der Lage zu bleiben. Manche arbeiten auch, damit sie Urlaub machen können. Auch dies ist im Grunde genommen kaum mehr als ein dürftiges Trostpflaster, das in keinem Verhältnis zu dem Ärger steht, dem man in der restlichen Zeit nur um dieses Trostpflasters willen ausgesetzt ist. Was sind schon die 2-3 Wochen im Jahr? Lohnt es sich dafür etwa zu leben? Letzten Endes ist auch der Urlaub dem höchsten Zweck, der Arbeit nämlich, untergeordnet. Man macht Urlaub, damit man nicht in der Psychiatrie landet. Wobei es ja tatsächlich Leute geben soll, die ihren Urlaub in der Psychiatrie verbringen. D.h. sie arbeiten bis zum Nervenzusammenbruch, gehen ein paar Wochen in die Klapse, arbeiten wieder bis zum Umfallen, und so weiter. Bliebe noch das Wochenende. Doch das ist auch gefährdet und schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr. Immer mehr Menschen müssen auch am Wochenende arbeiten. Pause wird dann vielleicht zwischendurch am Mittwoch gemacht. Samstags haben sowieso nur Schüler und Studenten und vielleicht noch Beamte frei. Die Schüler sind noch fein raus, weil man heutzutage auch ohne Lernen sein Abi bekommt, aber der Student, der am Wochenende feiert und seinen Rausch ausschläft ist auch nur noch ein überholtes Klischee. Wer sein Studium so gestaltet wird nämlich nicht lange Student bleiben. Stattdessen gilt auch hier: Freizeit ist Lernzeit. Den Umstand dass Freizeit heute eigentlich nur noch der hat, der seinen Pflichten nicht nachkommt versucht man dann durch das Modewort "Zeitmanagement" zu kaschieren. Als ob die Woche auf einmal 8 Tage hätte, wenn man sich gut organisiert. Wenn also die Freizeit der Sinn des Arbeitens wäre, dann müsste man zugeben, dass es sich nicht wirklich lohnt, zu arbeiten, denn dafür springt entschieden zu wenig Freizeit raus.
Also muss es um das gehen, was man in seiner wenigen freien Zeit macht. Der Spaß muss ja beträchtlich sein, wenn er in ein- zwei Tagen das wieder herein holen will, was man in der restlichen Woche verpasst hat. Aber was soll man am Wochenende schon großes anfangen? Und kann Spaß denn sinnstiftend wirken? In den meisten Fällen läuft es ja doch darauf hinaus, dass man vor dem Fernseher abhängt. Vielleicht geht man auch mal ins Kino, oder in ein Lokal. Die sportlicheren betätigen sich körperlich. Ganz hoher Stellenwert kommt natürlich noch der Pflege von Beziehungen zu. Man verbringt Zeit mit dem Partner, von dem selbst vereiratete unter der Woche sowieso nichts haben. Aber was macht man dann mit dem Partner? Dasselbe, was man auch als Single tun würde: Ins Kino gehen, essen, spazieren... Auf Dauer auch ziemlich langweilig. Ich weiß nicht genau, was sich normale Menschen von einer Partnerschaft versprechen. Aber ist es nicht irgendwie so, dass einem dabei so eine Art gemeinsames Abenteuer vorschwebt? Ist Liebe nicht etwas ganz besonderes, außergewöhnliches, aufregendes, gefährliches, prickelndes, extrem stimulierendes? Wie viel von  diesen Vorstellungen lässt sich schon in den drögen Alltag hinein retten. Vielleicht ist der Alltag ein  größerer Feind jeder Beziehung, als es die böseste Schwiegermutter je sein könnte. Dieses ewig gleichförmige, gewöhnliche, unspektakuläre, schlechthin zermürbende der ständigen Wiederholung des immer Gleichen wäre ja an sich schon schlimm genug. Doch man wird dabei ja auch nicht jünger! Man stumpft ab, nimmt das, was einen am anderen anfangs noch fasziniert haben mag irgendwann gleichgültig hin. Und eines Tages hat man sich vielleicht nichts mehr zu sagen, weil selbst, wenn man viel miteinander geredet hat irgendwann alles gesagt ist. Selbst der Intime Teil des Ehelebens verliert mit den Jahren immer weiter seinen Reiz, ja verbietet sich sogar irgendwann von selbst, wenn man seine Würde bewahren möchte. Die Menschen unserer Zeit versuchen diesen natürlichen Vorgängen durch Polygamie Einhalt zu gebieten. Sie wechseln ständig die Partner, bilden "Patchwork Familien", probieren perverse Rollenspiele und dergleichen. Und sie merken gar nicht, wie lächerlich sie sich dabei machen. Was gibt es armseligeres, als alte Leute, die versuchen, ihre Pubertät durch Motorradfahren und den Besuch von Ü60 Parties bis ins Greisenalter hinein auszudehnen, anstatt sich einfach damit abzufinden, dass sie nun einmal alt sind und die Zeit der großen Abenteuer damit beendet.
Bei all dem, was ich bis hierhin beschrieben habe: Wo scheint dabei denn bitte der Sinn durch? Natürlich habe ich absichtlich das eigentliche ausgelassen, weil es in der vulgären Auffassung vom Leben nämlich gar nicht vorkommt. Wir "leben das Leben" heißt es. Wir planen und organisieren den Stumpfsinn und verwenden all unsere Kraft darauf. Selbst der Verfall wird ordentlich durchgeplant: Abiturienten machen sich schon Gedanken über ihre Rente. Junge Mädchen wissen genau, wie ihr Leben ablaufen soll. So und so lang studieren, dann so und so lang arbeiten, mit 30 Mr. Perfect heiraten und mit dem zusammen alt werden - oder auch nicht, aber dann läuft einem bestimmt noch ein zweiter und ein dritter Mr. Perfect über den Weg. Und wenn man dann in Rente gegangen ist, wird ständig verreist und ganz bestimmt nichts unjugendliches gemacht, denn man ist ja so alt wie man sich fühlt. Sport und gesunde Ernährung sind der Gottesdienst dieses Kultes des Gewöhnlichen. Perfektionismus in allen Lebensbereichen: Das größte Auto, das schönste Haus, der tollste Job, die coolsten Freunde und die harmonischste Ehe. Doch wenn man einmal fragt, wozu das ganze denn            
gut sein soll? Verlegenheit. Meistens läuft es darauf hinaus, dass der Sinn eben in den Lebensvollzügen selbst liegt. Aber wenn das Leben schon in sich sinnvoll ist, warum muss es dann perfekt sein? Hat dann nicht auch ein armseliges Lotterleben seinen Sinn? Und die für mich wichtigste Frage: Lohnt sich der Aufwand denn? Rechnet man sich denn vorher einmal aus, wie viel  Kraft es kostet, all das zu erreichen, wovon jeder träumt? Reißen wir uns nicht alle ein Bein aus um alles mögliche zu erreichen, was sich im Nachhinein doch als sinn- und wertlos heraus stellt?
Was ich bei dem gesamten Kult um das Leben vermisse ist die Transzendenz. Wo ist denn in meinem ach so wichtigen Leben, das, was über sich hinaus weist?
Doch man darf den Menschen auch nicht Unrecht tun. Für viele sind Familie und Freunde das Wichtigste im Leben. Da will man zunächst nicht widersprechen. Denn Familie und Freunde haben etwas mit Liebe zu tun. Und Liebe mag wohl der Sinn des Lebens sein. Doch wo kommt bitte die Liebe im Alltag vor? Ist der Alltag nicht der schlimmste Feind der Liebe, der sie dadurch entweiht, dass er sie alltäglich macht?
Egal wie ich es auch anfange, am Ende scheinen mir Sinn und Alltag unvereinbar. Denn das was wirklich wertvoll ist: Liebe, Wahrheit, Schönheit hat im Alltag keinen Platz. Dort regiert nämlich der bloße Zweck, der Nutzen, letztlich der Zwang. Wenn aber das Leben mehr oder weniger hauptsächlich aus alltäglichen Zwängen besteht, die die Wahrheit, die Liebe und die Schönheit daraus  verbannen, dann hat das Leben im großen und ganzen keinen eigentlichen Sinn. Zwar kommt Sinn darin vor, aber eigentlich als etwas fremdes, dem Leben nicht direkt zugehöriges. Die Erfahrung von Sinn und Erfüllung kann also nur inform einer Entrückung vorkommen, die einen aus dem alltäglichen Zusammenhang hinaus reißt. Das ist die Ekstase, der heilige Rausch, Trunkenheit nicht des Leibes, sondern des Geistes! Hassen will ich also diese Welt aus Herzensgrunde und nichts anderes erstreben, als das was außer ihr ist!

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