Dienstag, 29. Dezember 2015

Der Ungläubige

Staunend stand ich vor der Kathedrale, konnte mich an ihrer Schönheit nicht satt sehen. Ich sah ihre mächtigen Pfeiler, ihr unerschütterliches Fundament. Sie war auf Fels gebaut. Ihre Mauern glichen denen einer Festung, doch waren ihre Fenster bunt und dünn, um das Licht besser einzulassen. Märtyrer umrahmten das wuchtige Portal, Märtyrer und Apostel. Ihre strengen Mienen verrieten keine Emotionen, ihr Blick ging in die Ferne. Dies waren keine Menschen mehr, sondern Halbgötter. Über allen thronte die Jungfrau Maria, die schönste aller Frauen, durch ihre unendliche Demut erhaben. Auf ihrem Schoß das Jesuskind, die Welt in der Linken, die Rechte in strenger Segensgebärde erhoben. 
Wenn schon die Fassade solche Pracht besitzt, mich so ehrfürchtig macht, was muss dann erst im Inneren warten, dachte ich. Da sah ich die Stufen, die zum offenen Portal führten. Es waren sehr viele und meine Beine waren verkrüppelt. Verzweifelt blickte ich mich um auf dem Platz, denn es waren viele Menschen da. Kaum einer schien die Kathedrale auch nur zu bemerken. Manche spuckten sogar aus, wenn sie daran vorbei liefen. Andere hatten sich auf den Stufen niedergelassen und aßen und lärmten dort. Ganz selten löste sich einer aus der Menge und bestieg mühelos die Stufen. Jeden der kam fragte ich, wie ich hinein gelangen sollte. "Na hier über die Treppe, so wie ich" bekam ich stets zur Antwort, "wirf einfach deine Krücken weg, denn die sind auf dem Weg nach oben nicht erlaubt. Drinnen wirst du sie nicht mehr benötigen". 
Da drehte ich mich um und ging traurig weg. Noch manches mal führten mich meine Streifzüge vor die Kathedrale.

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