Donnerstag, 19. November 2015



Jetzt sitze ich also hier in meinem Cityloft, die Cigarette in der Hand, nippe ab und zu an meinem Rotwein und mache mir, während ich mich darüber ärgere, dass der Rauch die Geschmacksnerven verdirbt und ich genausogut Hagebuttentee trinken könnte Gedanken darüber, was man denn so schreiben könnte, in einer Welt die so voll leeren Geschwätzes ist. Naja, gut, genau genommen ist es nur ein Zimmer in einem Kaff, wo Rauchverbot herrscht und mir der Zutritt zum Weinkeller nicht gestattet ist - aber der Rest stimmt. Denn dass heute zu viel geschrieben wird, insbesondere elektronisch, wird man ja wohl noch sagen dürfen. Jede Hausfrau (ich liebe und achte die Hausfrauen) hat heutzutage ihren eigenen Blog. Alle twittern und bloggen und laden Videos und Photos von sich hoch, als ob sie dafür bezahlt würden. Gut, zugegeben, die erfolgreichsten 1000 von 4 Milliarden werden das tatsächlich, aber ganz sicher nicht deshalb, weil sie in irgendeiner Hinsicht interessanter als die unbezahlten Heerscharen wären. Es sind vielmehr die mittelmäßigsten unter ihnen, die ordinärsten, angepasstesten, nichtssagendsten Allerweltsmenschen, denen Ruhm zuteil wird. Weil sie in ihrer (freilich fiktiven) Persönlichkeit die größtmögliche Schnittmenge an Eigenschaften der Durchschnittsexistenzen aufweisen, nur eben in FullHD und mit Zuckerguss drauf. Ich will jetzt gar nicht anfangen, auf einzelne dieser Erscheinungen einzugehen, nur soviel sei gesagt, dass die besten es nie ganz nach oben schaffen werden in der Gunst des Auditoriums, weil dort kein Platz ist zwischen all den Internetprominenten, die es genau wie Fernseh- und Kinoprominente nicht einmal verdienen überhaupt gekannt zu werden. 
Ja, die Aufmerksamkeit, sie ist ein rares Gut, eine wertvolle Ressource. Ähnlich wie beim Geld mag genug davon vorhanden, aber dieses sehr ungleich verteilt sein. Und warum wollen alle Aufmerksamkeit? Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Damit sie nicht verschwinden. In einer Welt, in der der Schein das Sein abgelöst hat als identitätsbildende Macht, fürchtet so mancher zurecht, sich in Luft aufzulösen, wenn er wie solche behandelt wird. Dies ist längst eine Welt voller Solipsisten, für die nur das existent ist, was sie wahrnehmen und auch nur solange sie es wahrnehmen. Aber ja, Herr Professor, selbstverständlich hält der Solipsist die von ihm wahrgenommene Welt eigentlich auch nicht für existent, aber es hat nun einmal gerade rethorisch so gut gepasst! Oder? Tut er das? Wenn die Welt das ist was ich wahrnehme, also nichts gleichbleibendes in ihr ist, existiert sie dann überhaupt? Nun gut, davon ein andermal. Worauf ich hinauswollte ist, dass jedermann darum bettelt wahrgenommen zu werden, weil die eigene reduzierte Daseinsweise sonst allzu berechtigten Anlass zum Zweifel an der eigenen Existenz gibt. Man mag dies nun entschuldigen und relativieren und verhamrlosen, doch ist das meine Sache nicht. Wofür Ich mich jetzt allerdings zu rechtfertigen habe, ist, dass ich es nun wage, mitzumachen, gleichsam mich einreihe in den Marsch der digitalen Selbstdarsteller der in das Luftschloss des Selbstbetruges, bestenfalls das der Massentäuschung führt. Dafür sollte ich mich wohl schämen, wenn ich nicht, wie bisher in allen Lebenslagen gute, geradezu herausragende Gründe für diesen Fauxpas hätte.
Zunächst einmal marschiere ich zwar mit, doch eher wie einer, der zufällig beim Flanieren in eine Massendemonstration geraten ist (wie ich Demonstrationen verabscheue! Selbst eine gute Sache muss schon sehr gut sein, dass Menschen sich dafür zum Pöbel erniedrigen lassen) und nun nicht gewillt ist, die ebenso zufällig gewählte Richtung wieder zu ändern, nur weil ärgerlich genug der Mob auf die gleiche Idee gekommen ist. Das heißt, ich tue es nicht, weil es alle tun, sondern obwohl es alle tun. Doch damit nicht genug der guten Gründe! Es hat sich herausgestellt, dass sich durch das Abfassen eines Tagebuches die Gedanken klären lassen und man dadurch in die Lage versetzt wird, retrospektiv das eigene Leben zum geeigneten Zeitpunkt zu betrachten, was immer ein gutes Gefühl ist. Nur hat ein echtes Tagebuch gegenüber den exhibitionistischen virtuellen den schweren Nachteil, dass man in ihm nur Selbstgespräche führen kann. Man schreibt anders, wenn es ein potentielles Publikum gibt. Man reißt sich etwas zusammen, nimmt sich in Acht bei dem was man schreibt (und hat nichts das geschriebene Wort eine nicht zu unterschätzende Macht?). Außerdem kommt die von mir selbst gerade in diesem Moment entdeckte Faustregel zur Anwendung, dass man nichts zu sich selber sagen sollte, was man nicht auch vor anderen bekennen würde. Schließlich erweckt man im
günstigsten Falle vielleicht sogar ohne die Verbindlichkeit eines Briefes bemühen zu müssen bei dem ein oder anderen Leser stille, oder gar offene Sympathie. Man stelle sich vor, es könnte eines Tages ein Gleichgesinnter auf meinen Blog stoßen! Der Mainstreamblogger hat tausende Gleichgesinnte, aber was ist das schon wert. Hingegen wenn mir jetzt ein paar Kennerherzen zufliegen würden... - aber lassen wir das.
Da ich nun glaube mich ausgreichend gegen kommende Vorwürfe des Selbstdarstellertums, der Oberflächlichkeit und der Schamlosigkeit verteidigt zu haben, schreiten wir auch gleich zum Tagesgeschäft. Nein. Wenn ich es recht bedenke, lieber morgen, oder ein andermal. Wie es eben kommt. Denn so lebt man nun einmal als der Flaneur.

P.S.: Ich denke keineswegs in diesem jovialen Tonfall fortzufahren, war nur vielmehr in Sorge, gleich beim ersten Eintrag Leser zu vergraulen. Im Allgemeinen wird dieses Diarium nur todernste, schwer verdauliche Themen behandeln. Nur Politik jetzt unter allen Dingen bestimmt nicht. Denn dafür bin ich mir zu schade. Diese "Alle machen mit" -Mentalität, dieses Geschwurbel von unseren "Werten" und von der besten aller mögliche Welten in der wir angeblich leben - das ekelt mich nun doch zu sehr an. Hin und wieder werden wir vielleicht die Politik ein wenig streifen, doch möchte ich an dieser Telle betonen, dass dies kein politisches Tagebuch sein will. Hier soll der Geist der Kritik regieren, nicht der Ungeist irgendwelcher Parteien. Denn Parteien halte ich für notwendige Übel, wengleich die Notwendigkeit noch dahingestellt sein darf. Parteien sind im besten Falle pragmatisch, im schlimmsten idealistisch ausgerichtet. Mir mißfällt beides. Also wie gesagt, kein Wort zu Politik hier.



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