Samstag, 21. November 2015

Was darf man erwarten?

Warum kann mein Leben nicht anders sein als es ist? Die Möglichkeiten weniger begrenzt, der Alltag weniger langweilig, die Sensationen häufiger, die Farben satter und selbst das Traurige darin: könnte es nicht wenigstens dramatischer sein? Wer solche Fragen stellt, tut dies wahrscheinlich aufgrund der Annahme, es seien durch sein bloßes Dasein schon Ansprüche begründet, die er an dieses Dasein stellen könne. Nach dem Motto: Wenn ich schon leben muss, dann will ich wenigstens ein zufriedenstellendes Leben haben. Doch mit dem eigenen Leben nicht genug. Die Welt ist voller Idealisten, die sich nicht damit abfinden wollen, dass alles so ist wie es ist. Tagtäglich ziehen sie mit feierlichen Lippenbekenntnissen zu Felde gegen alles Übel, gegen Hunger, Krieg, Unterdrückung, Ungerechtigkeiten usw, manchmal sogar mit gewiss gut gemeinten symbolischen Taten. Die Ironie besteht darin, dass mancher "Gutmensch" wie man sie bisweilen herablassend tituliert, sich einbildet, durch seine guten Taten die Welt tatsächlich zum besseren verändern zu können. Die Metapher vom Tropfen auf den Stein mutet in dieser Hinsicht noch euphemistisch an, denn: Wie viel mehr, wie unendlich viel mehr als alle guten Taten der Weltgeschichte zusammen genommen wäre nötig, um wenigstens eine sichtbare Veränderung herbeizuführen? Was wäre zum Beispiel damit getan, wenn eines Tages jeder Mensch, der auch nur irgendetwas besitzt, davon mit den Armen teilen würde? Wäre die Armut beseitigt? Wäre dies der Beginn einer neuen Ära der Brüderlichkeit? Ein paar Tage würden sich alle Wohltäter und ein paar der Armen freuen, um nur zu bald wieder zum Tagesgeschäft überzugehen. Man müsste rückblickend eingestehen, mit diesem nie dagewesenen weltweiten Fest der Barmherzigkeit nichts, aber auch gar nichts verändert zu haben. Oder gehen wir noch einen Schritt weiter: Was, wenn es eine Weltregierung gäbe, die das Vermögen der ganzen Weltbevölkerung einziehen und es dann auf "gerechte" Weise wieder unter den Leuten verteilen würde, sodass am Ende alle das gleiche hätten? Nur einmal spaßeshalber angenommen, es käme daraufhin nicht zu einer nie dagewesenen Inflation und Warenknappheit, weil das in Umlauf befindliche Geld überhaupt keiner entsprechenden Menge an Ressourcen gegenüber steht. Wäre die Welt nun eine bessere? Wären Armut und Ungleichheit ein für alle mal beseitigt? Offensichtlich wäre es eine Frage von wenigen Monaten, wenn nicht Wochen, bis die alten Verhältnisse mehr oder weniger wieder hergestellt wären. Die einen würden, regelrecht überfordert dadurch, das erste mal im Leben liquide zu sein gleich wieder alles verjubeln. Viele Arme würden vermutlich rauschende Feste feiern, da sie soviel nachzuholen haben. Andere würden die eiserne Sparsamkeit weiter praktizieren, die sie ein Leben voller Entbehrungen gelehrt hat und sich dadurch der Möglichkeit berauben, den neuen Wohlstand überhaupt zu genießen. Wer aber vorher schon reich gewesen ist, der hätte es durch seine angeborene oder erlernte Tüchtigkeit, oder durch schiere kriminelle Energie im Handumdrehen zu neuem Reichtum gebracht. Um die Sache abzukürzen, man würde sich sehr schnell mit der unbarmherzigen Tatsache konfrontiert sehen, dass es nur einen Weg gibt, einzelne Übel aus der Welt zu schaffen: Mit Terror. Mit blankem, entfesselten Terror. Denn die Ursache alles schlechten ist nun einmal der freie Wille. Nimm dem Menschen seine Freiheit, dann kannst du ihn nach Herzenslust zu seinem Glücke zwingen. Denn wir handeln deswegen schlecht, weil wir es können. Es gibt keine innere Notwendigkeit zum Guten. Damit ist freilich noch nichts erklärt. Die Ursachen des Bösen sind vielfältig und unausrottbar wie der Krebs. Wenn die einen aufgrund ihrer Freiheit schlecht handeln, dann tun es die anderen gerade aus Unfreiheit, weil irgend etwas sie dazu zwingt. Welcher "gute" Mensch hat sich niemals dabei ertappt, gegen seine eigenen Überzeugungen zu handeln und wusste vielleicht nicht einmal warum? Es gibt eine unsichtbare Macht, ob sie außerhalb oder innerhalb unserer Selbst sitzt, sei einmal dahin gestellt, die ständig alles verdirbt, einen allgemeinen Drang in der Natur zum Missgeschick. Die alten Griechen hatten ein Wort dafür: αμαρτια - Fehlschuss. Sie wussten, dass das Scheitern eine Grunddimension allen Menschlichen Strebens ist. Weiterhin wussten sie, dass es so etwas wie Schicksal gibt. Die Ursache dafür verorteten sie nicht bei den Geschöpfen, sondern bei den Göttern selbst, die sie sich fehlbar vorstellten und untereinander zerstritten. Danach würden also die Geschicke der Menschen von widerstreitenden Mächten gelenkt, die sich gegenseitig ins Handwerk fahren, von unzurechnungsfähigen Göttern, die ihre Eifersüchteleien und Fehden auf dem Rücken der Sterblichen austragen, die letzten Endes immer Verlierer bleiben. Hinter dieser allegorischen Mythologie steht eine Weise Erkenntnis: Dass wir Menschen eben nicht Schmiede des eigenen Glückes sind. Dass Glück nur allzuoft im Sinne von Glückhaben eintritt - oder eben auch nicht. Und: Dass es den geraden Weg oftmals gar nicht gibt, dass wir, indem wir einer Anforderung des Schicksals genügen, etwas anderes schuldig bleiben. 
Glück, so fassen wir zusammen, tritt weder mit Notwendigkeit ein, noch ist es überhaupt eine Notwendigkeit. Weder können wir es verlangen, noch es uns selbst erkämpfen. Was ist der Mensch denn, dass er nach Glück zu fragen wagt? Keiner hat sich selbst ins Dasein gesetzt. Jedes Leben, schönes wie schlimmes ist Gabe, ist gratis. Doch gleichzeitig ist es auch Auftrag und Bürde. Verantwortung trage ich nicht für mein Dasein, jedoch sehr wohl dafür. Machen wir uns also einmal die Stellung des Menschen im Kosmos bewusst. Alles wesentliche im Leben wird über seinen Kopf hinweg entschieden, angefangen damit dass er ist. Wenn man sich Verantwortung als etwas vorstellt, das einem durch eigene Taten und Freiheit zukommt, greift das zu kurz. Vielmehr müssen wir uns auch für das verantworten, das wir gar nicht selbst verursacht haben, angefangen bei unserem bloßen Dasein. Nach dem Sündenfall zur Rede gestellt gab Adam Gott selbst die Schuld, da er ihm die Frau, die ihn verführte schließlich "gegeben" habe. Er hätte vielleicht noch hinzufügen können: "Die Schlange, die Du geschaffen hast, verführte uns". Geht man vom bloßen Kausalzusammenhang aus, dann lässt sich tatsächlich sämtliche Verantwortung für schlechthin alles was geschieht, auf den Schöpfer abwälzen. Aber so funktioniert es ja nun einmal nicht. Gott überträgt uns Verantwortung und erwartet von uns, dass wir dieser gerecht werden, obwohl er ja andererseits weiß, dass wir es nicht können. Hiermit kommen wir der Sache schon wesentlich näher. Der Mensch ist nämlich gar nicht in der Position Forderungen zu stellen noch sich zu beklagen. Gott wirft uns in diese Welt hinein, mehr oder weniger gut ausgestattet und verlangt, dass wir uns dort bewähren. So einfach. Das heißt technisch gesehen ist das Leben mehr Bürde als Geschenk. Wäre es nämlich ein Geschenk müssten wir uns nicht für seinen Empfang rechtfertigen. Dann gälte, was uns die heutige Zeit weismachen will: "Es ist doch mein Leben, ich kann damit anfangen, was immer mir beliebt". In Wirklichkeit haben wir das Leben zwar, aber nicht als Besitz, sondern als Leihgabe. Unsere Stellung gegenüber dem Schöpfer ist die von Knechten, nicht bezahlten, sondern Leibeigenen. Deshalb ist übrigens nebenbei der Feudalismus die dem Christentum zugehörige Gesellschaftsordnung, nicht die Demokratie, aber das nur am Rande. Es ist ein durchaus satanischer Zug am zeitgenössischen Humanismus, dass er es wagt, den Menschen mit Gott auf eine Stufe zu stellen. In der religiösen Praxis drückt sich das dann dadurch aus, dass man Gott quasi vom Himmel herunter holen will und sich anmaßt, wie von gleich zu gleich an Ihn heran zu treten. Man soll sich doch nicht einbilden, dass Gott durch seine Menschwerdung auch nur im mindesten auf sein Königtum verzichtet hätte. Gerade haben wir Christkönig gefeiert - hätten wir zumindest feiern sollen. Denn was hat Jesus, unser "Bruder" denn gebracht? Die Königsherrschaft Gottes und keinen kosmischen Kommunismus. Jesus hat die Knechtsgestalt angenommen, aber nicht, weil Er wirklich unser Knecht wäre, sondern um uns den Weg zu weisen, um uns als Mensch in dem voran zu gehen, wozu wir Menschen vom Vater her bestimmt sind, damit niemand mehr behaupten kann, Gott verlange etwas, das nicht menschenmöglich ist. Hüten wir uns also davor, Gott zu instrumentalisieren, Ihn für unsere Zwecke einzuspannen, indem wir von Ihm ein gelungenes Leben erwarten. Dazu haben wir kein Recht. Es gibt auch keine Menschenrechte, die jedem von Geburt an zukämen. Das ist Wunschdenken. Ob einer auch noch so viel Leid zu erdulden hätte, ob er auch frühen Todes stürbe, er hätte doch kein Recht, sich bei Gott zu beklagen, denn alles Recht liegt bei Gott. Menschen haben nur Pflichten, keine Rechte. Und wenn einer es tatsächlich schafft, heilig zu werden, ist das dann ein besonderes Verdienst? Im Evangelium steht es geschrieben: Der Vollkommene hat nur seine Pflicht getan, nicht mehr. Denn wir sind verpflichtet vollkommen zu sein. Wenn den Heiligen dann doch ein Lohn in Aussicht gestellt wird, dann nicht weil sie ihn verdienten, sondern aus reiner Gnade, wie es zum Beispiel sehr schön aus dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg hervorgeht. Gott hätte auch das Recht, Vollkommenheit von uns zu verlangen und uns bei Befolgung trotzdem in die Hölle zu werfen. Denn gerecht ist nichts anderes als das, was Gott will, egal was es auch sei. Unsere herkömmlichen menschlichen Vorstellungen von Gerechtigkeit sind nichts weiter als naiver Idealismus und Sentimentalität. Es gibt also niemals einen Grund zur Unzufriedenheit. Denn alle Vorstellungen die wir uns davon machen, wie das Leben sein sollte, sind bloße Wünsche und Fiktionen.

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