Montag, 8. Mai 2017

Fragment zur Willenskraft

Woran werden wir gemessen? Etwa an der Moral? Nein, daran mißt uns die Gesellschaft, insbesondere dann, wenn es unserer Verurteilung oder Erpressung dient. Unsere Kraft, unsere Energie ist es, woran wir gemessen werden.
Energie, das ist dasjenige, was bewirkt, dass Veränderung geschieht. Genau wie in der Natur Kräfte wirken, sodass kein Stillstand in ihr möglich ist, so verfügt für gewöhnlich jeder Mensch über ein gewisses Energiepotential, das er sowohl nach außen, als auch nach innen richten kann. So kann der Mensch seinem eigenen Willen gemäß Veränderungen in seiner Umwelt bewirken - immer voraus gesetzt, ihm steht genügend Energie zur Verfügung. Jedoch werden der Reichweite seines Willens in der Außenwelt von widerstrebenden Energien, wie den Naturgewalten und fremdem Willen meist enge Grenzen gesetzt. Freiheit wird dem Einzelnen also nur in dem Maße zuteil, wie sein persönliches Energiepotential das anderer Menschen übersteigt. Indem er nun aber kraft seines stärkeren Willens sich auch fremde Energiepotentiale nutzbar macht, kann er Energien bündeln und sich damit auch die Natur unterwerfen.
All dies sind fundamentale Vollzüge menschlichen Daseins und als solche nicht weiter der Rede wert. Was jedoch gerne übersehen wird, ist, dass diese Willensenergie sich nicht nur nach außen richtet. Das menschliche Bewusstsein, Sitz des Verstandes und des Willens ist vielmehr als eine Schnittstelle zwischen zwei Welten zu betrachten: der äußeren objektiven und der inneren subjektiven Welt. Unsere materialistische und oberflächliche Gegenwartskultur bringt es nun mit sich, dass das Bewusstsein der meisten Menschen ganz einseitig nach außen gerichtet ist. So befasst sich der moderne Mensch ausschließlich mit der einen Hälfte der Wirklichkeit ohne die andere auch nur zu registrieren. Dies bedeutet nun keineswegs, dass die Innenwelt, also sein Unterbewusstes ihn nicht berühren würde. Denn auch in dieser verborgenen Welt wirken Energien, die den Naturgewalten in Nichts nachstehen. Je nachdem werden diese Kräfte nun entweder dem Willen des Menschen dienen, oder aber sie werden ihn behindern. All dies vollzieht sich aber unbemerkt vom Bewusstsein. Das Bewusstsein sieht nur, dass der Wille erfolgreich agiert, oder nicht, doch wird es in jedem Falle die Ursache dafür in der Außenwelt suchen, indem es irrtümlich davon ausgeht, Wille sei eine unbegrenzt verfügbare Kraft gleich dem Sonnenlicht, die jeder Mensch gleichermaßen nach Belieben anzapfen könne. Daher rührt auch die absurde, und zufällig immer nur von erfolgreichen (also willensstarken Menschen) inbrünstig vorgetragene Überzeugung, jeder Mensch könne alles erreichen, so er nur will. Hierbei handelt es sich natürlich um einen Aberglauben.
Während der Ursprung aller Energie im Dunkeln bleibt, so läßt sich zumindest eine versuchsweise Einteilung verschiedener Gattungen von Energie vornehmen.

1. Physische Energie: Licht, Elektrizität, Wärme, Bewegung, etc.
2. Willensenergie: Jene Energie, über die das Ich-Bewusstsein verfügt. Das sind Wille und Verstand.
3. Psychische Energie: Die un-/unterbewussten Urkräfte der Seele als Pendant zu den Naturgewalten der äusseren Welt. Man spricht auch von den Trieben, wobei der Begriff leider stark zoologisch behaftet ist.

Der erste Punkt ist vernachlässigenswert, für unsere Betrachtung völlig uninteressant, weil selbsterklärend und banal. Widmen wir uns daher lieber den beiden wirklich entscheidenden Kräften, dem Willen und dem Unterbewussten, und zwar in Bezug auf das Ich.
Das bewusste Ich nämlich bildet quasi die Schnittstelle zwischen der Innen- und der Umwelt. Als Umwelt ist hier, da die unbelebte Materie wie gesagt nicht weiter interessiert die übrige Menschheit im Unterschied zu dem Ich aufgefasst.
Da nun der Mensch ein Beziehungswesen ist, steht sein Ich in dreierlei Beziehungen: Es verhält sich zu der Umwelt, zu sich selbst, und zu seinem un- und Unterbewussten. Das ich selber ist ein absolutes Wunder, ein Mirakel in jedem Falle. Von seiner Existenz lässt sich das Postulat der Gottesebenbildlichkeit des Menschen ableiten. An diesem Ich aber, über das wir mehr nicht wissen, als wir wissen, zerren nun die beiden Welten, die Umwelt und die Innenwelt.
Da wäre zum einen die Innenwelt mit ihren Trieben, die ihm meist unbemerkt (sofern es sich nicht um die natürlichsten Bedürfnisse handelt) Anliegen vorgibt, die es sich in einem zweiten Schritt zueigen macht, sodass es sie zu seinem Willen macht. Und auf der anderen Seite ist da die Umwelt, das soziale Gefüge, in welches das Ich notwendig eingeordnet ist, da es ein Verhältnis ist. Je nachdem wie stark es ist (stark hier nicht im energetischen Sinne) wird das Ich sich auch den Willen der Umwelt, welchen auch diese aus ihren sie konstituierenden Innenwelten bezieht zueigen machen, das heißt je stärker, um so weniger. Denkbar ist darüber hinaus auch eine Konstellation, in der eine starke unterbewusste Triebnatur ein schwaches Ich kontrolliert, welches dann gleichermaßen gegen den Willen der Umwelt agiert. Hier liegt die Gemeinsamkeit von Helden und Verbrechern. Eine Souveränität des Ich gegenüber den Inneren und äusseren Fliehkräften erscheint indes ebenso wünschenswert wie unmöglich.

Hier kommt die Energie ins Spiel. Genauer die Energie des bewussten Willens. Nur sie kann die Klippen des Skylla des Unterbewussten und der Charybdis seiner Umwelt sicher durchqueren. Nur derjenige Mensch ist wahrhaft frei zu nennen, dessen bewusste Willensenergie die sowohl seiner Triebnatur, als auch des auf ihn wirkenden fremden Willens übersteigt. Bei den meisten Menschen jedoch, die einen starken Willen zu haben scheinen, erweist es sich bei näherem Hinsehen, dass nicht ihr Wille stark ist, sondern ihre Triebnatur, und dass von dieser ihrem Willen und Verstand die Energie zur Erreichung ihrer Ziele zufließt. Selbst von der sozialen Umwelt, die inform des Über-Ich quasi eine Botschaft innerhalb der Psyche unterhält kann das ich seine Energie beziehen. Ein schwaches Ich wird also entweder zum Sklaven seiner Triebe, oder zum Sklaven seiner Umwelt, zu einem Mitläufer und Spießer oder ggfs. eben zum verhetzten Pöbel.

Die denkbar schlimmste Kombination ist die aus einer schwachen Triebnatur und einem noch schwächeren Ich, welches jedoch sich weigert, dem Über-ich Folge zu leisten. Dieses Ich bekommt nun an sich selbst zu spüren, was es bedeutet, gottebenbildlich, aber nicht gottgleich zu sein. Zu stark zum Gehorchen, zu schwach zum Herrschen, steht es vollkommen isoliert und gelähmt einer feindseligen Welt gegenüber und wird zwischen den eigenen Gegensätzen aufgerieben. Sein Verstand (auch eine Form von Energie) durchschaut den Betrug der Herdenmoral ebenso wie den seiner Triebnatur. Doch sein Wille ist zu schwach, jener Erkenntnis des Verstandes Taten folgen zu lassen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen