Mittwoch, 21. Juni 2017

Heute mal was Lustiges

Während unsereiner sich aufgrund von Langweile und Überdruss in virtuelle Welten flüchtet und sich den Rest der Zeit den Kopf über Fragen zerbricht auf die es keine Antwort gibt, werden manche Leute bisweilen bösartig, wenn sie zu viel Zeit haben. Ein besonders liebenswertes Exemplar dieses Typus stellt der Nachbar meiner Großmutter dar, Herr S. Der Mann ist Rentner und erfreut sich trotz seines hohen Alters bester Gesundheit, womit er eine weitere Bestätigung für den Wahrheitsgehalt des alten Sprichwortes liefert, wonach Unkraut nicht vergeht. Wenn ihn die Frage, was er mit seiner unbegrenzten Freizeit anfangen soll auch vor ein unlösbares Rätsel stellt, so beweist er ein unendliches Maß an Kreativität, ja an Phantasie, wenn es darum geht Anlässe für den nächsten Nachbarschaftsstreit zu erfinden. Tatsächlich besitzt der Mann ein solches Talent im Anzetteln sinnloser Konflikte, dass er als amerikanischer Aussenminister infrage käme. Lustigerweise war der nette Herr bereits Nachbar meiner Großeltern, als diese noch in H. gewohnt haben. Damals blieben sie noch von dem Psychopathen verschont, da er sich auf einen anderen Nachbarn eingeschossen hatte, mit dem er auch schon mal auf offener Strasse eine Schlägerei anfing (wir reden hier von gut situierten, bürgerlichen Leuten). Besonders liebt S. aber das Prozessieren. Er besitzt das juristische Fachwissen eines Verfassungsrichters und ist ein Genie darin, das Gesetz auf seine Seite zu bringen, und wenn er zehn mal im Unrecht ist. Nur einmal hat er einen Prozess verloren, gegen besagten Nachbarn. Das war wohl die größte Schmach, die er in seinem ganzen Leben jemals erleiden musste (bezeichnenderweise war er im Berufsleben sehr erfolgreich gewesen). S. war so erbittert darüber, dass er aus dem Haus auszog. Und von allen Orten auf dieser Welt musste der Irre natürlich eine Wohnung in demselben Haus nehmen, in das meine Oma nach dem Tode des Großvaters gegangen war. Aber das Schicksal gewährte ihr noch eine Gnadenfrist, denn S. knöpfte sich zunächst wieder die andere Nachbarin vor, eine völlig harmlose Witwe, die keiner Fliege etwas zuleide tut. Nachdem er die Frau solange bedrängt hatte, bis sie sämtliche (dezenten) Dekorationen aus dem Flur entfernen musste und irgendein winziges Blumenbeet vor dem Hauseingang zugepflastert wurde, war er nicht etwa zufrieden, sondern lief erst richtig zu Hochform auf. Mit einem Rohr, das von ihrem Balkon abging und seiner unermüdlichen Recherche zufolge gegen irgend eine absurde Bauvorschrift verstieß hatte er den perfekten Casus Belli gefunden. Als die Nachbarin sich nicht geneigt zeigte seiner Forderung nach sofortigen Umbaumaßnahmen auf eigene Kosten nachzugeben, zeigte er sie selbstverständlich an und zwang ihr einen jahrelangen Rechtstreit auf, der die arme Frau eine Menge Geld kostete. Schlimmer aber war der psychische Druck für sie. Als S. schließlich den Prozess gewann (die Schmach von H. war wieder gut gemacht), war sie mit den Nerven endgültig am Ende und verließ die Wohnung, obwohl sie mit meiner Großmutter gut befreundet gewesen war. Und die wurde nun sein nächstes Opfer. Wer meine Großmutter kennt weiß dass sie die Harmlosigkeit in Person ist. Ich meine sie ist eben wirklich ein Großmütterchen. Geht jeden Sonntag in die Kirche, war ihr Leben lang Hausfrau, spendet für wohltätige Zwecke und wählt CDU (da hilft auch kein Zureden). Auch legt sie Wert auf Ordnung, Sauberkeit und Höflichkeit. Mit anderen Worten ist sie eine Zumutung für rechtschaffene Bürger wie Herrn S. und seine werte Gattin (so eine Art willenloser weiblicher Sidekick von ihm), die sich in den obligatorischen regelmäßigen Eigentümerversammlungen immer wieder bitter über ihre anarchistische Lebensweise beklagen. Ohne jemals einen Fuß hinein gesetzt zu haben wissen die Schmids beispielsweise von katastrophalen Hygienemängeln in der Wohnung meiner Oma, ja sie vermuten dort gar eine Art Pilzbiotop (kein Scherz). Absolut zur Weißglut bringt es S. wenn meine Großmutter gelegentlich Klavier spielt. Wir reden hier nicht von Mitternachtskonzerten. Und auch nicht von Experimentaljazz. Nein, es reicht völlig, wenn sie am frühen Nachmittag ein wenig Mozart klimpert, dass S. Amok läuft. Und er läuft wirklich Amok. Was hat er nicht schon alles versucht um meine Oma zum Schweigen zu bringen: Wildes Hämmern und Schreien an ihrer Tür, andauerndes Stampfen auf den Boden (er wohnt ein Stockwerk höher), solange bis sie aufgibt, ja er hat sich sogar eine Bohrmaschine genommen und damit so lange sinnlos Löcher in irgendwelche Holzbretter gebohrt, bis Ruhe war. Sein bisher lustigster Einfall war es aber, mit dem Hochdruckreiniger durch eine Abflussöffnung, auf die wir gleich noch zu sprechen kommen, den Balkon meiner Großmutter unter Wasser zu setzen. Sie hat buchstäblich die Fontäne durch das Fenster gesehen. Die besagte Abflussöffnung ist ihm nun das geworden, was ihm bei der vorherigen Nachbarin das vorschriftswidrige Rohr gewesen war. Es handelt sich dabei einfach nur um vier kleine Löcher im Boden des Balkons, von denen eines sich nun über dem Garagentor der Schmids befindet. Wenn meine Oma nun ihre Blumen gießt, kann es vorkommen, dass ein paar Tropfen Wassers auch vor Schmids Garage landen. Ja genau: ein paar Tropfen Wasser (S. im O-Ton: "Kübel mit Fäkalien"). Kurz und schlecht, nach wiederum jahrelangem Dauerterror hat er nun meine Großmutter so weit, dass sie die Öffnungen verschließen lassen muss. Und hier komme ich ins Spiel. Denn Schmids Kleinkrieg gegen meine Oma ist seit Jahren von einem regen Schriftverkehr zwischen S., der Hausverwaltung und unserer Adresse begleitet, der inzwischen über Email abgewickelt wird. Da meine Oma kein Internet hat, läuft das Ganze über mich. Das läuft so dass S. die Hausverwaltung nervt, die sich aus der Sache lange heraus halten wollte und die Beschwerden unkommentiert an uns weiter gegeben hat. Als ich nun heute die offizielle Anordnung für die Umbaumaßnahme erhielt, hab ich mir die Mailadresse der Schmids besorgt und habe ihnen einen "Vorschlag zur Güte" unterbreitet. Es folgt meine Email an die Herrschaften im Original (Fehler inbegriffen).




Nicht geehrte Herr und Frau S.,

leider muss ich Ihnen mitteilen, dass die Entfernung von drei der vier Abflüsse auf dem Balkon von Frau W. nun doch nicht vorgenommen werden kann. Nach reiflicher Überlegung haben wir nämlich entschieden, dass die 250€ besser investiert sind, wenn wir sie dem nächstbesten Obdachlosen in die Hand drücken, damit er sich davon Schnaps und Zigaretten kaufen kann. Im Hinblick auf Ihren allseits bekannten Großmut bin ich zuversichtlich, mit dieser Entscheidung bei Ihnen auf Verständnis zu treffen. Was das Problem mit dem Abfluss betrifft, so möchten wir Ihnen einen alternativen Lösungsvorschlag unterbreiten. Für den Fall nämlich, dass sie sich bereit erklären, ihren Wohnsitz in die sibirische Tundra zu verlegen, können wir ihnen versichern, für alle Zeiten vor weiteren Belästigungen durch meine Großmutter bewahrt zu bleiben. Selbstverständlich würden Sie nicht auf den Kosten für den Umzug sitzen bleiben. Denn im Gespräch mit Ihren Nachbarn und allen Menschen, die Sie kennen offenbarte sich eine überwältigende Bereitschaft, Sie in diesem Falle durch eine Sammelspende zu unterstützen. Das einzige Problem, das noch aus dem Weg zu räumen wäre, ist die unkooperative Haltung der russischen Botschaft, mit der ich bereits ein Sondierungsgespräch in Ihrem Namen geführt habe. Nachdem ich ihm kurz in groben Zügen von Ihnen berichtet habe, meinte der Beamte, dass auch die russische Föderation gewisse Mindestanforderungen an Einwanderungswillige stelle, die er bei Ihnen beiden leider nicht erfüllt sieht. Wörtlich sagte der Mann etwas von irgendwelchen überfüllten Irrenanstalten in seinem Land. Ich weiß auch nicht worauf er damit hinaus wollte. Da sprach vermutlich der Vodka aus ihm... Jedoch lässt sich dieses kleine Hindernis gewiß durch eine kleine Spende an die Grenzwächter, für die Ihre Nachbarn, Freunde (kleiner Scherz), und Verwandten gerne zusätzliches Geld beisteuern werden. Wenn Sie dann noch eine eidesstattliche Versicherung abgeben, sich der Zivilisation in Russland auf niemals weniger als 100 Kilometer zu nähern, wird sich die Botschaft bestimmt kompromißbereit zeigen. Da es an Ihrem neuen Wohnort keine Menschen und auch keine Klaviere gibt, werden Sie sich dort sicher wohl fühlen. Und bedenken Sie, dass Sie durch ihre Auswanderung letztlich auch Ihre geliebte Heimatstadt L. zu einem besseren Ort machen würden. Das wäre solchen sympathischen Philanthropen, wie Sie es beide sind sicher eine Ehre.

Mit unfreundlichen Grüßen

Hans W.

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