Mittwoch, 12. April 2017

Justified true belief

Rationalismus ist die grosse Versuchung, so viel steht fest. Das gilt aber nicht nur für diejenigen, die aus ihm heraus einen Atheismus oder ähnlichen Dreck begründen wollen. Vielmehr ist er gerade für Christen die allergrößte Gefahr in unserer Zeit. Wer seine nihilistische Lebensauffassung mit Logik zu untermauern sucht, dem ist ohnehin nicht zu helfen, Rationalismus hin oder her. Nein, die Christen! Sie sind das hauptsächliche Opfer dieses grössten Betruges der Menschheitsgeschichte: Der Annahme, die gesamte Wirklichkeit sei logisch und dem Verstande zugänglich organisiert.
Das fängt schon bei dem Begriffe der Theologie selbst an. Da nimmt man eine Offenbarung oder einen als solche gehandelten Text und versucht sogleich, diese schwer zugängliche Materie in ein ethisches System zu konvertieren. Tatsächlich verweigert der Offenbarungstext sich einem solchen Ansinnen. Aber das kümmert den rationalistischen Theologen (und das sind nicht nur die Modernisten unter ihnen) nicht, denn er meint es ja gut.
Die Menschen beispielsweise des Mittelalters bedurften einer derartigen Pädagogik nicht. Sie erblickten die Symbole und Riten, sie vernahmen die lateinischen Formeln, sie stimmten die frommen Gesänge an, welche wiederum eine symbolisch-bildliche anstatt einer rationalen Sprache besaßen: und sie - nein, sie verstanden nicht - sie sogen die Botschaft auf wie Muttermilch. Für jene Menschen war die Vorstellung, dass Gott lieben und aber auch verdammen kann völlig unproblematisch. Denn sie stellten keine blödsinnigen Formeln auf, wie:

Gott ist die Liebe.
Liebe ist das Gegenteil von Hass
Also hasst Gott niemanden.

Nein, eine Deutung von Symbolen kam ihnen überhaupt niemals in den Sinn. Denn den Unterschied zwischen Symbol und Bedeutung kannten sie überhaupt nicht. Alles Erleben war ihnen bedeutsam. Gott war keine Idee, sondern eine greifbare Wirklichkeit. Dämonen gingen umher und Engel, nicht in irgendeinem Äther, sondern in dieser unseren Welt. In der Alchimie fanden Naturwissenschaft und Magie zusammen, ganz einfach weil ein Unterschied zwischen Natur und Übernatur nicht gemacht wurde.

Auch heute gibt es noch Menschen, die an Wunder und Magie glauben. Auch heute bekennen tausende, dass Christus nicht nur in einem ideellen Sinne "in uns allen weiterlebt", sondern tatsächlich im Fleische auferstanden ist und auch dereinst wieder kommen wird.
In meinen Augen ehrt sie das. Sie folgen damit ihrer eigenen Intuition und nicht irgendwelchen Kopfgeburten fremder Instanzen. Zumindest wenn sie es wirklich glauben und nicht nur mit den Lippen bekennen. Dieser Glaube jedenfalls, dieser Glaube gegen alle Wahrscheinlichkeit, gegen die öffentliche Meinung und gegen ihre Erfahrung - dieser Glaube zeugt von Authentizität, von Charakter - und bisweilen sogar von Seelentiefe.

Doch was macht man dann aus diesem phantastischen (und deshalb nicht weniger berechtigten) Glauben? Behandelt man ihn als das, was er ist? Selbstverständlich nicht.
Nein, in der naiven Annahme, dass alles so sein müsse wie es sein soll, versucht man sogleich, auch hier, wo sie nichts zu suchen haben Gesetzmäßigkeiten zu postulieren und sogleich noch eine gute Portion irdischer Vorstellungen von Gerechtigkeit hinein zu schleusen in den Glauben. Das Ergebnis in zehn Punkten sieht dann ungefähr so aus:

1. Gott ist die Liebe.
2. Gott hat den Menschen geschaffen, um in ein liebendes Verhältnis mit diesem eintreten zu können.
3. Damit der Mensch lieben kann, muss er sich auch dagegen entscheiden können, denn...
4. ... Liebe setzt einen freien Willen voraus (ist also Willenssache).
5. Also gab Gott dem Menschen einen freien Willen, was dazu führte, dass...
6. ... der Mensch sich gegen die Liebe (also eigentlich gegen den Gehorsam, aber das eine schließt irgendwie das andere mit ein) entschied und dadurch...
7. ... Leid und Tod und das Böse (= die Abwesenheit des Guten) in die Welt brachte, weshalb Gott...
8. ... den Menschen für die nächsten paar zehntausend Jahre die Gelegenheit gab, die Folgen ihres Ungehorsams auszubaden, um ihnen damit eine Lektion zu erteilen...
9. ... auf dass sie irgendwann von selber einsähen, dass es besser (=vernünftiger) sei, Gott zu lieben und ihm also zu gehorchen.
10. Weil sie es nicht einsahen und weil ein paartausend oder auch mehr Jahre voller unsagbarer Greuel noch nicht genug waren, nahm Gott schließlich stellvertretend die Strafe auf sich und jetzt sind alle gerettet, die dieses Opfer persönlich in Anspruch nehmen und können endlich dem Zwecke ihres Daseins entsprechen und Gott lieben und sich von ihm lieben lassen.

Ich möchte ganz klar betonen, dass ich dies weder in blasphemischer Absicht schrieb, noch mich über die Gläubigen lustig zu machen. Es ging mir nur darum, meinen Lesern die Absurdität des Ansinnens vor Augen zu führen, den Glauben in ein "logisches" System hinein zwängen zu wollen.

An dieser oben geschilderten Auffassung, die mir bei mehr Menschen begegnet ist, als mir lieb ist ist so viel Falsches und Absurdes, dass man nicht weiß wo man anfangen soll. Und noch einmal: Nicht der Glaube und nicht das Evangelium sind absurd, sondern was die Menschen in wohlmeinender Absicht daraus gemacht haben: eine vorne und hinten nicht aufgehende Lehre, die vor Willkür nur so strotzt. Deshalb spare ich es mir an dieser Stelle auf die unzähligen Widersprüche darin einzugehen. Wer diese nicht erkennt wird dies auch dann nicht tun, wenn ich sie ihm aufzeige.

Die bekennenden Christen reden gerne von Demut. Es ist tatsächlich eines ihrer Lieblingswörter. Nun denn, dann also Demut. Wie wäre es zum Beispiel damit, die Demut immer dann zu praktizieren, wenn der Verstand mit Gottes Wort nicht Schritt halten kann und es nun also als unentschlüsselbares Mysterium stehen zu lassen, anstatt den Zweiflern irgendwelche aus den Fingern (aber meistens nicht den eigenen) gesogene Scheinargumente um die Ohren zu hauen.
Für den Glauben spricht zweifellos mehr, als gegen ihn spricht. Aber doch um Himmels Willen keine Argumente!

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