Freitag, 14. April 2017

Drei Typen

Der Mensch ist zwar ein potentiell vernunftbegabtes Wesen. Jedoch ihm eine Vernünftigkeit als maßgebliche Grundeigenschaft zu attestieren schießt weit über das Ziel hinaus. Wenn wir von einem Homo Sapiens sprechen wollen, sollten wir zuvor noch einen Begriff für die dann offensichtlich daneben exsistierende zweite Menschenrasse finden, bei welcher von Sapientia keine Spur festzustellen ist.

Warum schreibe ich so viel gegen die Vernunft und die Vernünftigkeit an? Wer mich kennt weiß, dass ich weit eher ein Kopf- als ein Gefühlsmensch bin. Meine Instinktschwäche zwingt mich geradezu, auf den Verstand auszuweichen. Auch würde ich niemals leugnen, dass ein Großteil aller Alltagsschwierigkeiten und Konflikte durch den Einsatz der Vernunft vermieden, wenn nicht gar gelöst werden könnten.
Welcher denkende Mensch kennt nicht diesen Anflug von Melancholie angesichts einer Welt von Halbwilden, die ihn innerlich seufzen lässt: "Warum können die Menschen nur nicht vernünftig sein?".
Oder wer kennt nicht diesen schiller´schen Typus des ewigen Pädagogen, der unentwegt bemüht ist, die Menschen aufzuklären und zur Tugend zu erziehen, sei es durch Worte oder durch gutes
Vorbild?
Wer kann seine Zustimmung und Bewunderung versagen, wenn er die feingeistigen Gedankengänge der Philosophen hört, die von Tugend und Besonnenheit handeln?

Ja, es ist ganz wahr und recht, dass diese Welt eine bessere wäre - zumindest eine sehr viel weniger problematische, wenn die Menschen mehr ihrem Verstand folgen würden, als ihren dunklen Trieben und Leidenschaften. Und doch: Ist nun das Irrationale am Menschen selber das Problem? Es gibt viel Schlechtes in dieser Welt, wie Umweltzerstörung und Massenvernichtungswaffen, das ohne einen massiven Verstandeseinsatz niemals zustande gekommen wäre. Die abendländische Verstandeskultur war es, die, vom antiaufklärerischen Islam einmal abgesehen, alle größeren Probleme verursacht hat, an denen diese Welt heute krankt. Der Idealist würde mir nun entgegnen, Atombomben und Raubtierkapitalismus seien zwar Produkte höchster Verstandesleistungen, jedoch keineswegs vernünftig im universalen, ethischen Sinne. Und genau darin liegt der grosse, fatale Irrtum dieser wohlmeinenden Menschheitserzieher, dass sie immerzu in Universalismen denken. Je nach persönlicher Prägung begreifen sie entweder "die" Vernunft als ein kosmisches Prinzip, welches genau wie für Mathematik und Physik auch für das menschliche Zusammenleben objektive, universale Gesetze kennt, oder aber sie vermuten hinter der Schöpfung einen göttlichen Plan (welcher im Endergebnis mit der abstrakten Vernunft gleichgesetzt werden kann), der den Menschen in eindeutiger Weise vorgibt, wie sie sich verhalten sollen und wie nicht. Die Missachtung solcher postulierter Universalgesetze ziehe demnach negative Folgen für den Delinquenten genau so zwingend nach sich, wie für das Kind der sprichwörtliche Griff nach der Herdplatte - auch wenn sie aus Unwissenheit geschieht. Ein schlechter Mensch kann demnach nicht gleichzeitig auch ein glücklicher sein, da unsere Psyche gemäß der göttlichen/vernünftigen kosmischen Ordnung so geartet sei, dass sie letzten Endes auf ein ethisch korrektes, vernünftiges Handeln (man beachte die Gleichsetzung von Ethik und Vernunft) hin ausgelegt ist und Zuwiderhandlung durch Depression und Neurosen bestrafe, Tugend hingegen durch Zufriedenheit und inneren Frieden (Ataraxie) belohne.
In diesem Modell einer vermeintlich logischen Weltordnung erscheinen nun die Entscheidungsfähigkeit des Menschen, sowie vor allem sein unterbewusst-Triebhaftes als Anomalien, welcher einer ständigen Korrektur durch den Verstand oder das Gewissen (letzteres auch wiederum als vernünftige Instanz begriffen) bedürfe. Die Triebe und Emotionen hätten wir nach diesem Modell mit den unverständigen Säugetieren gemein. Während aber dieselbe Vorsehung (ob göttlich oder nicht), die dem Universum seine Logik gab und uns die Fähigkeit, diese zu erkennen, es so eingerichtet hat, dass den Tieren ihre Instinkte stets den richtigen Weg weisen (gemäß der Art des Daseins, zu dem sie bestimmt sind), konfligiert nun beim Menschen seine animalische Natur mit dem Verstande. Dieser Konflikt sei nur durch eine Überwindung und Einhegung der Triebe durch den Verstand zu bereinigen. Und er müsse auch bereinigt werden, um endlich auch den Ausnahmefall Mensch in die ansonsten perfekte kosmische Ordnung mit einzubinden. Christlich interpretiert wäre dann unser Verstand die göttliche, das Animalisch-Unterbewusste hingegen die irdisch-fleischliche gefallene Natur - die Erbsünde also. Der ewige Kampf des Menschen mit seinem tierischen Erbe wird zu einem geistlichen Kampf gegen die Sünde. Und an dem Tag, da alle Leidenschaften endlich ausgemerzt sind, da ist das Königreich Gottes endlich zu den Menschen gekommen. Das ist sozusagen der grosse Auftrag des Menschen, letztlich der Sinn seines Daseins: die Triebnatur zu überkommen und ganz und gar rational-vergeistigt, damit göttlich und somit unsterblich zu werden.

Was hier zum Ausdruck kommt soll keineswegs eine Zusammenfassung oder Kritik "des" Christentumes sein, sondern vielmehr die Aufschlüsselung einer Ideologie, die meiner Beobachtung nach sehr viele junge Christen (leider gerade oft die besten) unbewusst in sich tragen und die sie (abermals meist unbewusst) mit christlichem Glauben verwechseln. Es spielt auch keine Rolle, ob der einzelne Leser sich selber in allen Aspekten dieser Schilderung wieder erkennt, oder ob nun die Bibel ins Spiel gebracht wird oder nicht. Mir geht es um eine gewisse Denkstruktur, um eine Grundidee. Ob diese nun christlich verbrämt wird, ändert an ihrem areligiösen Kern gewiß nichts.

Denn das Problem mit dieser Ideologie, die auf den ersten Blick so schön rund und schlüssig daher kommt (wie übrigens alle ausgefeilten Ideologien), dass sie grundlegend falsch ist, egal wie viele richtige Einzelaspekte sie enthalten mag.
Jede Ideologie gründet nämlich auf gewissen nicht hinterfragten Postulaten, aus denen dann logische Konsequenzen gezogen werden. Der Unterschied zwischen moderaten (und darum fataler weise harmloser erscheinenden) und radikal-fundamentalistischen Ideologien besteht im Grunde lediglich in der Konsequenz, mit der man bereit ist, das Modell zu Ende zu denken.
Im Falle der Vernunftsideologie (im weitesten Sinne meine ich die Aufklärung) ist das Problem, dass sie von völlig falschen Voraussetzungen ausgeht, sowohl was die Natur des Menschen, als auch die der Gesamtwirklichkeit angeht. Diese Grundannahmen aber, egal wie rational und konsequent man sie auch in ein System bringen mag, sie sind selber keine Verstandesleistungen, sondern sie werden aus dem Unterbewussten heraus getroffen - ja müssen sogar daraus kommen. Wir haben keine andere Instanz, die diese Funktion erfüllen könnte. Dies ist nun einmal die Arbeitsweise des menschlichen Bewusstseins. Der Verstand kann letztlich nur mit den Voraussetzungen arbeiten, die das Unterbewusste ihm liefert. Eine vorurteilslose Betrachtung der Welt ist schlechterdings nicht möglich. Ich kann unendlich viel über Gott und die letzten Dinge nachdenken, sprechen und schreiben. Ob es aber diesen Gegenstand meiner Betrachtung wirklich gibt, diese Entscheidung nimmt mir mein Verstand niemals ab. Hier ist mein persönliches Herzensbekenntnis gefordert.
Wer mir nun aber mit Argumenten gegen die Existenz Gottes begegnet, dem kann ich nur sagen: "Du willst, dass es keinen Gott gibt. Du hast ein Interesse daran, dass es sich so verhält. Am Anfang steht deine Entscheidung gegen den Glauben. Erst im zweiten Schritt liefert dir dein Verstand als Lakai deines Unbewussten die vermeintlichen Beweise für deine eigennützige Grundannahme."
Der Verstand ist die Hure der verborgenen Triebe.

Da es müßig und relativ nutzlos ist, über das Wesen der letzten Dinge zu spekulieren, möchte ich mich hier nur dem des Menschen widmen. Dieses ergibt sich nämlich ganz primär daraus, dass er Interessen besitzt. Je nach seinem evolutionären Stand werden diese Interessen sich nun entweder mehr auf die dinglich-horizontale, oder auf die spirituell-vertikale Ebene beziehen. Da auch die höher entwickelten Individuen noch ihre fleischliche Natur mit den Halbaffen gemein haben, ist also von irdischen Interessen kein Mensch frei, wohl aber gibt es viele, die niemals auf den Gedanken kämen, nach etwas anderem zu streben. Dem Hochstehenden Individuum entspricht es nun aber, in dem Maße, wie seine materiellen Interessen befriedigt sind, sich geistig-spirituellen Gegenständen zuzuwenden. Er strebt dann nicht mehr nach einem vollen Magen, sondern nach Glückseligkeit, Erkenntnis, Ehre, Ruhm - und natürlich nach Tugend.
Glück, so spricht der Philosoph, sei das, "wonach alle streben". Einen grösseren Unfug habe ich selten vernommen. Denn damit macht er die absurde Voraussetzung, dass alle letztlich nach demselben strebten. Sicher bin ich zu hart mit meinem Urteil. Man müsste mit Glück einfach nur, sagen wir "die Erfüllung des Daseinszweckes" definieren, schon passt die Aussage. Aber auch das nur, wenn man davon ausgeht, dass jedes Lebewesen einen solchen besitzt. Wenn ich jetzt einen Hund, der mit seinem geliebten und ihn liebenden Herrchen spielt sehe und der zweifellos glücklich zu nennen ist, weil Hunde eben dafür geschaffen wurden, den Menschen Freunde und Gefährten zu sein, fällt es mir nicht schwer, dieser Glücksdefinition zuzustimmen. Schaue ich mir aber hingegen eine blutsaugende Mücke an, dann wird die Sache schon vertrackter. Sicher ist das Viech alleine schon von seiner Physiognomie her dazu ausgelegt, andere Lebewesen zu plagen, schöne Sommerabende im Freien zu ruinieren und gefährliche Krankheiten zu übertragen. Von daher wäre auch eine Mücke beim Zustechen glücklich zu nennen. Aber nein, lehrt uns der Philosoph, keinesfalls ist sie glücklich, denn sie besitzt ja keine Seele. Auch da kann man nur zustimmen und sich freuen, dass die Welt wieder in Ordnung ist. Oder? Nein, natürlich nicht. Denn jeder weiß, dass die Erscheinung des rein destruktiv agierenden, seelenlosen Parasiten keineswegs auf die Insektenwelt beschränkt ist. Es gibt ihn auch und gerade in der Menschenwelt. Gibt man diese Tatsache nun aber zu, dann stellt sich im Anschluß nur noch die Frage, ob nun entweder auch böses Verhalten glücklich machen kann, so man denn eine böse Natur besitzt, oder es aber auch schlechthin sinnlose Existenzen geben kann. Und da hilft auch kein Verweis auf die nicht sublimierte Triebnatur böser Menschen, denn unter diesen gibt es auch solche, die mit schärfster Disziplin und sogar unter großen persönlichen Opfern an der Zerstörung fremden Lebens arbeiten. Tatsächlich gibt es Menschen, die mit vollendeter Selbstlosigkeit sich der schlechten Sache widmen. Mit dem brutalen Egoismus des Triebtäters haben solche nichts mehr gemein. Wollen wir die rationalistische Definition von Gut und Böse aufrechterhalten, dann müssen wir auf die Frage eine Antwort finden, ob Parasiten böse sind. Wenn wir sagen, dass sie nicht böse sind, weil sie keine Seele und damit gar keine moralische Qualität besitzen, dann dürfen wir auch den Vergewaltiger nicht mehr böse nennen. Denn dieser besitzt ja ebenfalls keine Seele. Entweder das, oder aber wir erkennen an, dass es auch Geschöpfe gibt, deren Vorhandensein sinnlos ist. Der Einwand gegen eine durch und durch sinnvolle und harmonisch präfigurierte Grundordnung der Natur, es gäbe doch auch Parasiten und Krankheiten und dergleichen - der Mensch sei in seiner moralischen Ambivalenz also nicht die einzige Anomalie, wird gerne mit einer rationalistischen Weltentzweiung abgeschmettert. Die Natur folge demnach einer eigenen inneren Logik, diese habe jedoch nichts mit dem Menschen zu tun, da dieser ja dazu bestimmt sei, sich über die Natur zu erheben. Blutsauger gäbe es eben, damit die Vögel etwas zu fressen haben, und Krankheiten, um Überpopulationen zu vermeiden, etc. Der Mensch hingegen dürfe nicht auf der natürlich-tierischen Ebene (die an sich nicht schlecht sei) verharren, weil sich diese nicht mit seiner geistigen Dimension vertrage. Er sei anders als alle Lebewesen dazu verdammt, sich selber immer wieder zu transzendieren. An einem blutsaugenden Parasiten sei daher per se nichts Falsches, weil der Parasit eben dazu in der Welt sei, an einem Dieb hingegen schon, weil er sich durch sein Verhalten seiner eigentlichen Bestimmung dazu, eine Art Gott zu sein, widersetze.

Es fällt auf, dass das Böse in diesem Modell eigentlich gar nicht wirklich vorkommt. In der Natur kann es nichts Böses geben, eben weil sie die Natur ist. Und das was am Menschen böse ist, wird kurzerhand mit der - in seinem Falle zu überwindenden - Natur gleichgesetzt, wird also als Unvollkommenheit wegerklärt.

Die Erfahrung und unser Inneres Empfinden lehren uns zweifellos etwas anderes. Sie lehren uns, dass Parasiten und Viren sehr wohl entweder böse oder sinnlos sind und dass der Triebmörder entweder keine Seele besitzt, oder aber von grundauf böse ist, also eine böse Seele besitzt und durch sein Verhalten sehr wohl dem Sinn seines Daseins entspricht, welcher darin liegt, möglichst viel Schaden anzurichten, wie es auch bei Parasiten und Viren der Fall ist. Daraus folgt wiederum, dass wir keinesfalls in der besten aller möglichen Welten leben und dass es sowohl auf der natürlichen, als auch der übernatürlichen Ebene Dinge gibt, die es nicht geben sollte.
Von einer harmonisch präfigurierten Schöpfungsordnung nirgends eine Spur. Sicher empören wir uns über die Mißstände in dieser Welt. Aber aus dieser Empörung abzuleiten, wir hätten Gott oder irgend eine abstrakte Vernunft auf unserer Seite, wenn wir das nicht wollen, oder dass unsere Ideale in Platons Ideenwelt eine ewige und objektive Existenz fristeten - all das ist pures Wunschdenken und Spekulation. Nein die Natur schert sich nicht um unsere Ideale. Und genau so wenig schert sich die geistige Welt, denn auch in ihr gibt es Teufel und Dämonen. Unsere Empörung geht ja zweifellos darauf hinaus, dass nicht nur etwas nicht in Ordnung ist, sondern dass es manche Dinge überhaupt nicht geben dürfte, es sie aber eben doch gibt. Die blosse Existenz des Bösen und Falschen ist der Beweis, dass die vernünftige Struktur des Kosmos eine bloße Kopfgeburt ist. Und auf der spirituellen Ebene zeigt sie uns, dass eben nicht überall eine göttliche Vorsehung waltet.

Wenn es aber grundsätzlich möglich ist, dass diese Welt als ganze Gesehen defizient ist, dann kann es auch keine Garantie mehr dafür geben, dass wenigstens der Mensch davon verschont bliebe, denn er ist ja Teil dieser Welt. Auch hier spricht die Erfahrung eine deutliche Sprache. Egal wie sehr wir es versuchen, egal wie ehrlich unsere gute Absicht: Wir machen ständig Fehler, nicht selten schwerwiegende und kennen nicht einen anderen Menschen, der frei von Fehlern ist. Das Böse ist eine erfahrbare Realität - auch das Böse in uns selber. Und das ist nicht nur ein Mangel an Vernünftigkeit. Denn unsere Vernunft ist korrumpierbar. Es bleibt ja nicht dabei, dass wir nur die besten Absichten hätten, aber dann aufgrund unseres "schwachen Fleisches" eben doch wieder sündigten. Nein, wer sich selber gut beobachtet wird zweifellos feststellen, dass seine Gedankengänge sich unmerklich seinen verborgenen Absichten und auch zumindest fragwürdigen Neigungen nur allzu bereitwillig anpassen können. Diese verborgenen Absichten müssen ja nicht alle gleich schlecht sein. Allerdings sind auch nicht alle gut. Und bei vielen läßt es sich nicht ohne weiteres feststellen, ob sie nun "rein" oder auch nicht rein sind.
Das ist der Keim des Selbstzweifels: Die Erfahrung, dass wir uns selber nicht immer trauen können.

Und das ist es eben mit dem Verstande. Wir alle haben Interessen, geheime Wünsche, Schwächen und auch Ängste. Geschmeidig passt der Verstand sich nun diesen Trieben an in dem was er denkt und auch in den Ergebnissen seiner Gedankengänge. Wer starke Ängste hat, wird sich entweder ganz bewusst nur mit Heiterem und Unverfänglichem befassen, oder aber im Gegenteil sich selber quälen, indem er immer wieder um seine Ängste kreist. In jedem Falle ist ihm ein objektiver Umgang mit diesen Ängsten nicht möglich - denn er ist ja ihr Subjekt! Was und wie ein Mensch denkt und womit er sich befaßt, das läßt direkte Rückschlüsse auf seinen Charakter zu. Und kein Mensch im fortgeschrittenen Alter bleibt in seiner Weltanschauung unbeeinflußt von seinen persönlichen Erfahrungen (die ja auch immer etwas mit seinen Interessen zu tun haben, die er notwendig verfolgt haben muß). Die eine definitive Wahrheit hat kein Mensch und kann auch kein Mensch haben, und selbst wenn es einen Menschen gäbe, der alles begriffen hätte, so wäre er für den Suchenden unmöglich zu finden in der Masse der Millionen, die vermeintlich den Durchblick besitzen

Grob lassen sich die Menschen in Fragen der Weltanschauung in folgende drei Gruppen einteilen:

1. Die Ignoranten: Sie sind entweder zu dumm oder zu feige, um sich der Komplexität der Wirklichkeit zu stellen. Selber denken sie niemals über irgend etwas anderes als ihre kleinen Alltagsgeschäfte nach und passen sich, wenn doch einmal ernste Fragen auftauchen geschmeidig entweder der Mehrheitsmeinung an, oder da wo eine Auswahl besteht derjenigen Auffassung, welche ihren eigenen Neigungen am ehesten entspricht. Ihnen ist die Wahrheit völlig gleichgültig. Sie wissen nichts und sind glücklich damit.

2. Die Ideologen: Auf ihrer rastlosen Suche nach der Wahrheit haben sie ihre seelischen Reserven überstrapaziert. Weil es ihnen auf die Dauer unerträglich wurde, die Ambivalenz der Wirklichkeit auszuhalten und weil hinter jeder Tür die sie öffneten zwei neue warteten, es ihnen aber auch nicht mehr möglich war, die bereits getätigten Erkenntnisse (oder was sie für solche hielten) wieder zu vergessen, sind sie irgendwann einfach stehen geblieben, indem sie der Verlockung einer vorgefertigen Weltanschauungen nachgaben, die die Widersprüche aufzulösen verspricht. Entweder das, oder sie haben ihren eigenen Kenntnisstand verabsolutiert. Manche von ihnen sind wahnsinnig. D.h. sie halten ihre abgeschlossene Sicht der Dinge wirklich im innersten für die definitive Wahrheit. In ihrem unbeirrbaren Vertrauen auf die Objektivität ihres eigenen Verstandes übersehen sie, dass ihr Verstand nur mit Grundannahmen arbeiten kann, die sie a priori aus dem Unbewussten heraus gemacht haben.

3. Die wahren Philosophen oder die Weisen: Sie halten die Widersprüchlichkeit der Existenz aus und widerstehen jeder Versuchung, diese auf die eine oder andere Weise aufzulösen. Sie behaupten nicht, letzte Antworten zu besitzen und sind doch reich an Erkenntnis. Sie verfallen weder in das unreflektierte Schwarzweißdenken der Ideologen, noch in den Relativismus der Ignoranten. Sie sind sich der Unergründlichkeit sowohl ihrer eigenen Motive als auch des Kosmos bewußt und folgen einer zuverlässigen Inneren Eingebung, die ohne scheinbar zwingende Argumente auskommt, weil sie frei von jeder Anmaßung ist. Diese Menschen sind weise und verständig, obwohl sie sich selber nicht dafür halten (anders als die Ideologen). Ihr Verstand ist nur aus dem einen Grunde nicht korrumpierbar, weil sie einen guten Charakter besitzen. Dies ist keine Eigenleistung von ihnen, sondern Anzeichen ihrer Auserwähltheit.

Egal wie sehr du dich um Erkenntnis bemühst, sie wird dir nur dann zuteil werden, wenn du dazu bestimmt bist. Bist du ein guter Mensch, dann wirst du nicht fehlgehen, ob mit oder ohne Verstand. Bist du aber ein schlechter Mensch, dann wird dir dein Verstand nicht nur nichts nützen, nein dann wäre es besser für dich, wenn du keinen hättest, sodass du in dem relativ unschuldigen Stadium der Ignoranten verharren könntest.

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